Glücklich gestrandet
das Ganze im Geiste durch.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen zuerst das Deck.« Carole ging voran.
»Entzückend«, murmelte Dora und versuchte herauszufinden, wie diese Frau in das Leben eines Kanalbootsbesitzers passte. War sie die Ehefrau oder nur eine Freundin? Oder sogar nur eine Bekannte? Sie war schlank, elegant und trug eine fabelhafte Seidenhose mit einem passenden Top. Carole war sonnengebräunt und gut geschminkt, und sie hatte wirklich schönes Haar. Obwohl Dora nicht die Absicht hatte, Frisörin zu werden – viel zu kniffelig, wie sie fand –, glaubte sie doch gern, ein Auge dafür zu haben, wann jemandem seine Frisur gut stand. Carole war ein Beispiel für eine Frau mit perfektem Haar. Jo, dachte Dora bedauernd, leider nicht.
»Sehen Sie, hier ist das Sonnendeck. Ist es nicht wunderbar? Die Markise ist elektrisch, man braucht nur einen Knopf zu berühren.«
»Zauberhaft«, erwiderte Dora. Aus irgendeinem Grund tat Carole ihr leid. Trotz ihres atemberaubenden Aussehens und ihrer hübschen Kleider verströmte sie Einsamkeit. Sie fragte sich, ob dieser Marcus nett zu ihr war. Was für ein Mann würde es einer Frau überlassen, fremden Menschen sein Boot zu zeigen, es sei denn, sie waren verheiratet oder zumindest ein Paar?
»Und dort ist ein Hydrauliklift für den Wagen«, fuhr Carole fort. »Marcus benutzt ihn jetzt, aber durch den Lift kann man, wenn man mitten im Nirgendwo ankommt, einfach zu den Läden oder zu einem Hotel fahren. Natürlich nur, wenn man es will.«
Dora hatte den Eindruck, dass Carole es nicht wollte. Das Kanalboot war wahrscheinlich Marcus’ Herzenswunsch, und sie machte nur ihm zuliebe mit. Selbst schuld.
»Sehr nützlich«, meinte Jo. »Ähm – können wir jetzt hineingehen? Mich interessiert das Innere von Booten viel mehr als das Äußere.« Jo lächelte energisch.
»Mir geht es natürlich im Grunde genauso«, stimmte Carole ihr zu, »aber die Hildegarde hat so viele wunderbare Besonderheiten, dass ich keine davon übergehen möchte. Dies ist das Ruderhaus«, verkündete sie einen Moment später voller Stolz.
Dora hatte mittlerweile genug Kanalboote gesehen, um nicht länger darüber zu staunen, wie unterschiedlich sie alle waren, doch dieses Ruderhaus war etwas ganz anderes. Zum einen gab es hier keine Pflanzen.
Es verfügte über etwas, das aussah wie ein Flugzeugcockpit. Vor dem Ruder stand ein gepolsterter Stuhl, und dann eine Menge Elektronik, die Carole gerade einer sehr geduldigen Jo erklärte.
Dora schlenderte die Treppe hinunter und fragte sich vage, warum sich außer ihnen niemand das Boot ansah. Sie hätte vermutet, dass die meisten Leute so schnell wie möglich auf dieses Boot gesprungen wären. Die Inneneinrichtung gefiel ihr. Der Salon war mit einem hellbunten Holz vertäfelt. Dort fand sich auch ein derzeit nicht brennender Holzofen, auf den Carole (es musste Carole gewesen sein) einen Strauß Trockenblumen gestellt hatte. Auf dem Boden lag ein heller Teppich, aber die Möbel waren mit so perfekter Symmetrie arrangiert, als hätte jemand ein Lineal angelegt. Schön, aber seelenlos, dachte sie.
Dann war da jedoch ein Bücherregal. Dora trat davor, um sich die Zeit zu vertreiben, während sie darauf wartete, dass Jo und Carole herkamen. Wie sie mit Entsetzen bemerkte, waren die Bücher alphabetisch sortiert, und es fanden sich keine Romane darunter. Dora schauderte. Es war wohl besser, die anderen Räume nicht mehr zu betreten, bis man sie hineinbat, fand Dora. Es wäre aufdringlich erschienen. Daher ging sie zum Fenster, das definitiv eher ein Fenster war als ein Bullauge, und blickte hinaus. Sie konnte die Drei Schwestern sehen. Von hier aus betrachtet, wirkte das Boot ziemlich elegant, und selbst Dora konnte seine schönen Linien würdigen. Im Innern war es jedoch eindeutig ein Boot. Dicke, runde Bullaugen ließen Licht in den Salon, aber man konnte nicht durch sie hindurchblicken. Von den großen Fenstern der Hildegarde aus hatte man eine wunderbare Aussicht.
»Also, dies ist der Salon«, sagte Carol, als sie eintrat. Jo, die ihr folgte, wirkte müde. »Sehen Sie, wie geräumig er ist?«
»Auf diesen Kanalbooten gibt es reichlich Wohnraum, nicht wahr?«, erkundigte sich Jo.
»Und die Kabine des Besitzers ist zum Sterben schön!«, schwärmte Carole und überzeugte Dora damit, dass sie in dieser Kabine das erlebt hatte, was die Franzosen »den kleinen Tod« nennen, auch wenn sie dort nicht tatsächlich gestorben war. Was für ein Typ mochte Marcus
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