Glücklich gestrandet
aufbrachen, war Dora klar, dass Jo ein aufwühlender Tag bevorstand. Ihre mütterliche Freundin war ohnehin schon beunruhigt, seit die Notwendigkeit einer Fahrt nach Holland im Raum stand und Marcus sie besucht hatte. Was sie jetzt mehr beschäftigte – die Vorstellung, ihren Garten wiederzusehen, oder das von der Perle infiltrierte Haus –, war schwer zu sagen. Dora hatte deswegen eine E-Mail an Karen geschrieben, die von Neuem gegen ihren Vater gewettert hatte.
Jetzt stellte Jo das Radio ein, und sie legten die fast fünfzig Kilometer größtenteils schweigend zurück.
»Sie werden nicht dort sein, oder?«, vergewisserte sich Dora, während sie durch das Dorf fuhren. Plötzlich war sie selbst nervös und mit allen Sinnen angespannt. Schließlich konnte sie jemandem begegnen, der sie kannte, und musste sich verstecken. Sie war noch immer nicht bereit zurückzukehren, und sie wusste auch nicht, ob Jo es war.
»Nein, sie werden nicht da sein. Darauf habe ich bestanden«, erwiderte Jo. »Ich möchte nicht höflich sein müssen, wenn ich sehe, was sie mit meinem Haus angestellt hat. Stell dir vor, sie hat die Tapete im Gästezimmer abgerissen. Dabei war sie schrecklich teuer! Es war Toile du Jouy – sagt dir das etwas? Es ist eine französische Tapete. Ursprünglich waren kleine Zeichnungen von Leuten darauf, die pflügten und sich um ihre Schafe kümmerten. Aber dies war eine moderne Tapete. Sie zeigte eine Stadt, mit Straßenarbeitern und Baggern und sogar einen Mann, der sich in den Rinnstein erbrach.« Sie gab ein Geräusch von sich, das starke Ähnlichkeit mit einem Knurren hatte.
»Oh, da ist Mrs Dingsbums!«, rief Dora erschrocken. Sie kauerte sich auf ihrem Sitz zusammen, bevor sie den Kopf weit genug hob, um sehen zu können. »Es ist in Ordnung, sie hat mich nicht bemerkt.« Dora spürte, wie ihr abwechselnd heiß und kalt wurde.
»Mrs Wer?«
»Ich kenne ihren Namen nicht, aber sie ist im Laden zu mir gekommen und hat mir erklärt, ich sei eine sehr selbstsüchtige junge Frau.«
Jo schnalzte mitfühlend mit der Zunge. »Kümmer dich nicht darum. Hier wären wir. Spring raus und mach das Tor auf, ja?«
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Kapitel 11
W ie geheißen, sprang Dora aus dem Wagen, und Jo fuhr durch das Tor. Die Kletterrose am Haus begann gerade zu blühen, der Sommer stand auf der Schwelle, bereit, in seiner vollen Pracht einzutreten.
Als Jo die Rose sah, fragte sie sich wie jedes Jahr, warum gelbe Rosen immer als Erste blühten. Dann bemerkte sie einen Blumenkasten in Form einer Minischubkarre voller leuchtend bunter Primeln, dottergelb, schockierend pink und malvenfarben. Jo liebte altmodische Schlüsselblumen mit ihren wunderbaren alten Namen, und sie hatte ein Beet unter einer Hecke, das im Frühling übersät war mit wilden Primeln. Aber diese künstlichen Züchtungen gefielen ihr nicht. Sie war auch nicht besonders versessen auf Minischubkarren.
»Komm, lass uns hineingehen«, sagte sie nach einem kurzen Moment zu Dora und stieg dann aus dem Wagen.
Auf dem Tisch im Flur stand ein Arrangement aus Seidenblumen. Jo hatte dort immer eine Vase mit echten Blumen stehen gehabt, und seien es auch nur Zweige mit gerade aufspringenden Knospen. Natürlich konnten Seidenblumen sehr hübsch sein, und man brauchte sich nicht um sie zu kümmern, sie erschlafften oder starben nicht, und das Wasser ging ihnen auch nicht aus. Jo betrachtete die Mischung von Blüten, die in der Natur niemals gemeinsam geblüht hätten, und ging weiter. »Lass uns in die Küche schauen.«
Als sie auf der Schwelle stand, senkte sich Verzweiflung auf sie herab. All die Gefühle von Verlust und Verrat, die sie überwunden geglaubt hatte, stiegen von Neuem in ihr auf, als sie den Raum sah, der das Herz ihres Zuhauses gewesen war. Er hatte sich von einem Zentrum der Gemütlichkeit, eingerichtet im Bauernhausstil, in ein undefinierbares Stilgemisch verwandelt, dessen wüsten Auswüchsen auch wichtige praktische Gesichtspunkte geopfert worden waren. Schlechter Geschmack ohne jeden praktischen Verstand.
Der Tisch unter dem Fenster war aus rostfreiem Stahl, und darunter standen zwei Stühle mit spindeldürren Beinen. Der Tisch war rund und winzig, bot gerade genug Platz für ein Paar. Jo hatte einen soliden Kieferntisch gehabt, der durch die Jahre vernarbt gewesen und für alles benutzt worden war, zum Ausrollen des Teigs, zum Basteln und Kleben, für Karens und oft Doras Schularbeiten. Ihre
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