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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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späteren homoerotischen Tendenzen, meine Liebe zu Franzi, waren nur hilflose Versuche, mich der notwendigen Rivalität mit meiner Mutter nicht aussetzen zu müssen. Ich konnte und wollte mich nicht von ihr abgrenzen. Meine Pubertätskrise hielt sich jedoch in Grenzen verglichen damit, was einige meiner Mitschülerinnen durchmachten. Selbstverstümmelung, Bulimie, ungewollte Schwangerschaften, Schwangerschaftsabbrüche, Drogenmissbrauch, Alkoholismus … Selbst Franzi hatte mir in jenem letzten Sommer am See stolz ihre zerschnittenen Unterarme gezeigt. Zum Glück konnte ich kein Blut sehen, sonst wäre ich womöglich auch auf die Idee gekommen, an meinen Gliedmaßen herumzuschnipseln, denn ich machte Franzi alles nach. Sie war mein großes Vorbild. Ich wollte so sein wie sie. Auch deshalb hatte ich die Sommer am Attersee immer so schön gefunden. Endlich hatte auch ich eine beste Freundin. Und da Franzi der absolute Star unter den Seewalchner Kindern war, sonnte ich mich in ihrem Ruhm. Wie sehr hatte ich es genossen, wenigstens ein paar Wochen im Jahr zu einer richtigen Clique zu gehören. Meine Mutter nannte uns die vier Musketiere. Die Rolle des D’Artagnan war eindeutig Franzi vorbehalten. Willi, Gustav und ich waren ihre treuen Gefährten, aus heutiger Sicht würde ich eher sagen: ihre Vasallen.
    In der großen Marina von Kammer lagen wenige Boote. Es war bereits zu kalt zum Segeln.
    Ich verließ das Seeufer, spazierte vorbei an den Reitställen von Schloss Kammer und folgte der Straße, die steil bergauf nach Schörfling führt. Bald geriet ich außer Atem. Als ich kurz verschnaufte und den Blick auf den See genoss, der majestätisch unter mir ruhte, begann mein Magen zu knurren.
    In Schörfling war nichts los. Nur die Konditorei Ottet hatte offen. Sollte ich mir eine exorbitante Cremeschnitte gönnen oder lieber einen warmen Apfelstrudel? Ich entschied mich für die Cremeschnitte und fand sie genauso köstlich wie früher.
    Danach zog ich weiter durch die menschenleeren Straßen und Gassen des Dorfes.
    Kaum hat sich der Sommer verabschiedet, beginnt das Leben auf dem Land langweilig zu werden, dachte ich. Die Dorfbewohner verkrochen sich in ihre schönen Häuser. Straßen und Grünanlagen waren verlassen. Die Grundstücke alle ordentlich eingezäunt. Die Gärten, vorbereitet auf den langen Winter, sahen seltsam leblos aus. Gestutzte Hecken, in exakten geraden Linien angelegte Rabatte …
    Auf dem Rückweg schaute ich in Marios Café vorbei. Das Lokal war leer. Kurz nach achtzehn Uhr war ich der einzige Gast. Mario setzte sich zu mir. Koch und Kellnerin verzogen sich in die Küche.
    Der Koch dürfte ein paar Jahre älter sein als Mario, dachte ich. Wie ich später erfuhr, war er italienischer Abstammung und ein begnadeter Surflehrer, der sich in der kalten Jahreszeit kochend über Wasser hielt.
    „Mama hat mir vorletzten Sommer die Bar und gleichzeitig ein finanzielles Chaos übergeben. Ihr Steuerberater war ein Aasgeier. Er hat sie ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Ich mache die ganze Buchhaltung selbst. Ein Freund von mir, der Wirtschaft studiert hat, erledigt den Rest“, sagte Mario. „Übrigens steht Mama nach wie vor den ganzen Sommer lang mit halbentblößtem Busen an der Theke. Sie ist echt peinlich, vor allem, wenn sie besoffen ist und die männlichen Gäste anmacht. Ich schaffe es nicht, sie von der Bar fernzuhalten. Sie bildet sich ein, das Geschäft zu beleben. Unser Publikum besteht hauptsächlich aus Zwanzigjährigen …“
    „Junge Männer stehen oft auf ältere Frauen“, ergriff ich zögernd Partei für meine Freundin.
    „Aber nicht auf Mama. Sie sieht total verlebt aus. Kein Wunder, sie hat doch einiges mitgemacht.“
    Nett, wie der Herr Sohn über seine Mutter redet, dachte ich. Bevor mir noch etwas zu ihrer Verteidigung einfiel, sagte er: „Offiziell weiß ich ja nicht, wer mein Vater ist. Ich bin mir aber, wie ich dir schon erzählt habe, ziemlich sicher, dass Philip für meine Existenz verantwortlich ist.“
    Ich schaute meinen Neffen skeptisch an.
    „Er hatte eine Vorliebe für Minderjährige.“
    Plötzlich sah ich wieder diesen rot gefleckten Hintern vor mir, der sich schneller und schneller auf und ab bewegte. Mir wurde ganz schwindlig. Ich bat Mario um eine Zigarette.
    „Hast du Indizien, die deinen Verdacht bestärken?“, fragte ich ihn.
    „Er hat Mama nie was abschlagen können, hat all ihre Eskapaden einfach hingenommen. Sobald sie mich nicht mehr stillen musste, ist

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