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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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Gefängnisse düster, trist und verdreckt vorgestellt.
    Als Franzi in Begleitung einer Wachebeamtin den Raum betrat, in dem sich ein Tisch und zwei Stühle befanden, wurde mir ganz heiß. Wir hatten zusammen Maiskolben geklaut, wir waren bei Blitz und Donner auf den See hinausgeschwommen, wir hatten den ersten Joint miteinander geteilt und wir hatten uns gemeinsam zum ersten Mal betrunken. Mit Tränen in den Augen drückte ich meine Jugendfreundin fest an mich, streichelte ihr Haar und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
    Mit einem verlegenen Lächeln löste sie sich aus meiner Umarmung. Ich musterte sie kritisch. Franzi war kleiner als ich. Tolle Figur. Jedenfalls hatte sie viel mehr Busen und Po als ich. Ihr dichtes, rotblondes, lockiges Haar hatte sie mit Spangen gebändigt. Ihr ebenmäßiges Gesicht war faltiger als meines, aber sehr schön, große braune Augen, volle Lippen, eine hübsche Stupsnase und viele Sommersprossen. Sie sah keineswegs älter als vierzig aus. Der verwaschene blaue Trainingsanzug war ihr viel zu groß.
    „Ich sehe toll aus, nicht wahr“, sagte sie spöttisch. „Habe endlich abgenommen. Wunderbare Diätküche hier drinnen. Hast du Zigaretten mitgebracht?“
    Ich nickte, immer noch mit einem Kloß im Hals.
    Zum Glück hatte mich Mario darauf hingewiesen, dass seine Mama was zum Rauchen benötigen würde. Ich hatte extra am Bahnhof in Linz angehalten, um eine Stange Marlboro für sie zu besorgen. Zwar waren mir die Zigaretten, zusammen mit meiner Handtasche, abgenommen worden, doch der Beamte hatte mir versichert, dass Franzi die Stange bekommen würde.
    Ich bot ihr eine von meinen leichten Gauloises an. Sie rauchte gierig, machte einen Zug nach dem anderen, ohne zwischendurch Luft zu holen.
    „Du hast dich ganz schön gemausert“, sagte sie grinsend. „Man sieht dir an, dass es dir richtig gut geht.“
    „Ich kann nicht klagen. Aber wie geht’s dir?“, fragte ich verlegen.
    „Nicht schlecht, im Ernst, hab’s mir schlimmer vorgestellt. Ich habe eine nette kleine Zelle mit Bett, Tischchen, Stuhl und Spind. Was braucht man mehr? Kein Vergleich zu dem Chaos bei uns zu Hause. Sobald ich wieder draußen bin, werde ich gründlich ausmisten.“ Ihr Ton war scherzhaft. Ihre Blicke verrieten mir ihre Verzweiflung.
    Ich hatte mir vorgenommen, Heinzis Tod nicht zu erwähnen. Das würde die ganze Geschichte nur verkomplizieren. Franzi würde früh genug davon erfahren.
    „Wir haben nicht viel Zeit. Am besten, du erzählst mir, was an jenem Abend passiert ist“, sagte ich.
    Sie starrte mich entsetzt an.
    „Du musst auch nicht mit mir reden. Ich frage mich dann halt, warum ich gekommen bin. Hier ist es nicht gerade gemütlich.“
    „Ich kann nicht …“, stammelte sie.
    „Okay. Walpurga möchte, dass ich dir einen vernünftigen Anwalt besorge. Willst du das auch?“
    Sie schüttelte den Kopf und murmelte: „Mir kann keiner mehr helfen.“
    „Quatsch. Es war ein Unfall. Nicht einmal die Bullen glauben, dass du ihn vorsätzlich umgebracht hast.“
    Franzi sah mich lange und forschend an. Als sie endlich zu sprechen begann, schaute sie konsequent zu Boden. „Ich war oben in meinem alten Zimmer. Philip und ich hatten kurz vorher einen Riesenkrach. Ich wollte keinen Tag mehr länger mit ihm unter einem Dach verbringen und habe meine Sachen zusammengepackt.“
    „Wo wolltest du hin?“
    „Ich wäre zu Mario gezogen.“
    „In die Orangerie?“
    „Nein, in seine Garçonnière über der Bar. Habe öfters dort übernachtet. Aber was spielt das jetzt für eine Rolle?“
    „Entschuldige, erzähl weiter.“
    „Ich habe durch den Luftschacht in meinem Zimmer Stimmen aus dem Salon gehört.“
    „Wessen Stimmen?“
    „Keine Ahnung. Ich habe fast nichts verstanden. Als die Stimmen lauter wurden und ich einen fürchterlichen Schrei gehört habe, bin ich hinuntergelaufen. Und da lag Philip vor dem Kamin. Irgendjemand hatte ihm die Zacken des Schürhakens in den Unterleib gerammt, ihn richtiggehend aufgespießt. Als ich mich über ihn gebeugt habe, hat er mich schmerzerfüllt angesehen. Ich glaube, das war der Moment seines Todes. Seine Augen sind plötzlich gebrochen. Seine Arme sind seitlich herabgerutscht. Seine linke Hand ist auf den glühenden Holzstücken gelandet. Sie hat nicht einmal gezuckt. Ich sehe diese Bilder immer wieder vor mir, ich krieg sie nicht aus meinem Kopf.“ Sie schluchzte leise. „Ich wusste nicht, wie Menschen aussehen, wenn sie sterben. Mir ekelte vor all dem Blut auf

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