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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Gerät, das es freundlicherweise geöffnet hatte, weigerte sich trotzig, es wieder zu schließen. Noch schlimmer war, dass wir Dockers Haustür zertrümmert hatten. Vielleicht hätten wir das enorme Loch wenigstens mit Pappe und Klebeband notdürftig flicken sollen – falls wir zufälligerweise auf Pappe und Klebeband gestoßen wären –, aber wir waren so niedergeschmettert und enttäuscht, dass es uns nicht einmal in den Sinn gekommen war. Jetzt, auf halbem Wege nach Dublin, wurde mir bewusst, dass die Tierwelt sich in dem Haus einrichten und es übernehmen würde, wenn man das Glas nicht ersetzte. Die Tür musste repariert werden, aber selbst wenn ich eine ausgezeichnete Glaserin gewesen wäre, konnte ich nicht noch einmal nach Leitrim fahren. Es war einfach zu gespenstisch da.
    Ich musste jemandem das mit der Tür erzählen. Bloß wem? Ich hatte keine Nummer von Docker, ich wusste nicht, wie ich ihn erreichen konnte. Sollte ich versuchen, einen Glaser aus Leitrim zu bestellen, ohne meine Identität preiszugeben?
    Als wir die Ausläufer von Dublin erreichten, war es schon nach drei Uhr morgens, und die Sonne ging langsam auf.
    Ich sprach, das erste Mal seit Stunden. »Jay, wo soll ich dich rauslassen?«
    Er hatte den Kopf an das Seitenfenster gelehnt und schien mich nicht gehört zu haben.
    »Jay?«
    Er wandte sich mir zu. Er sah so deprimiert aus, wie ich mich fühlte. Normalerweise war er so munter und positiv, dass er mir einen winzigen Augenblick lang leidtat.
    »Hast du geschlafen?«, fragte ich.
    »Nein. Nur überlegt, wo er sein kann … Ich war mir so sicher, dass wir ihn da finden würden.«
    »Ich auch.« Ein schreckliches Gefühl der Ermattung über kam mich bei dem Gedanken, dass ich wieder ganz von vorne anfangen musste. Ich musste mit den übrigen Nachbarn sprechen. Ich musste in die Blutwurst-Zentrale Clonakilty fahren, um mit Waynes Familie zu sprechen.
    Und ich würde es tun. Ich würde immer weiter an der Oberfläche rubbeln, bis sich etwas zeigte. Und die Berichte von dem Telefonmenschen und dem Kreditkarten-Experten standen schließlich noch aus, es war nicht alles nur schlecht. »Wir finden ihn noch«, sagte ich.
    »Meinst du?«
    »Bestimmt.« Also, vielleicht.
    Das schien ihn aufzuheitern. »Du bist fantastisch«, sagte er. »Du bist wirklich fantastisch. Ach, Helen, wir waren immer ein gutes Team, du und ich.«
    »Nein, waren wir nicht.« Soeben hatte er den kleinen Anfang von gutem Willen verjagt, den ich einen Moment lang und irrtümlicherweise für ihn empfunden hatte. »Wo soll ich dich rauslassen?«
    »Ich wohne immer noch in derselben Wohnung.«
    Plötzlich war ich sehr wütend auf ihn – weil er wieder in mein Leben gestürmt war, weil er so tat, als könnten wir die verschwundene Nähe wiederherstellen, weil er annahm, ich würde mich an alles, was mit ihm zu tun hatte, erinnern.
    Mit eisiger Höflichkeit sagte ich: »Du musst mir die Adresse noch mal sagen.«
    »Was?« Er war völlig verdutzt. »Du weißt doch wohl noch, wo ich wohne.«
    »Nein, leider nicht.«
    »Aber du bist hunderttausendmal da gewesen.«
    »Alles, was mit dir zu tun hat, wurde vor langer Zeit in Kisten verstaut und auf hohen Borden in einem unzugänglichen, staubigen Teil meines Gehirns abgestellt.«
    Das verschlug ihm die Sprache. Ich spürte, wie er nach Worten rang, aber seine Gefühle waren in einem solchen Auf ruhr, dass er keine fand. Und dann verließ ihn alles Leben, als wäre der Stöpsel aus ihm herausgezogen worden. »Meinetwegen«, sagte er tonlos. »Ich sage dir, wie du fahren musst.«
    Als wir zu seiner Wohnung kamen, war es vier Uhr, und die Sonne stand bereits am Himmel. Dass sie auch immer die Aufmerksamkeit auf sich ziehen musste! Wie ein geltungsbedürftiges Kind.
    Jay stieg aus und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Grüß Mammy Walsh von mir, wenn du nach Hause kommst.«
    »Mammy Walsh? Ich gehe zu meinem Freund. Du erinnerst dich, oder? Eins fünfundachtzig? Wahnsinnig attraktiv? Gut bezahlter Job? Ein durch und durch anständiger Mensch?«
    »Klasse, lass es dir gut gehen. Vergiss nur nicht, dass wir immer noch auf der Suche nach Wayne sind.«
    »Wir sprechen morgen drüber.«
    »Es ist bereits morgen.«
    »Egal.« Ich trat aufs Gaspedal, und mein Auto schoss mit einem erfreulich respektlos klingenden Kreischen davon.
    Es war hell wie am Mittag. Die Sonne war ein erbarmungsloser weißer Ball an einem weißen Himmel, aber die Straßen waren leer. Es war, als wäre eine Bombe

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