Glückskekssommer: Roman (German Edition)
Achtung!«
»Das habe ich auch schon gesagt«, kommentierte Jens grinsend.
Er drückte Margret den Kaffee und den abgedeckten Teller in die Hand. »Ist ein tapferes Mädchen.«
Frau Sonnemann lachte ihr rostiges Lachen, und wir gingen zusammen ins Geschäft. Kurze Zeit später versank ich im Staub.
Noch nie im Leben habe ich so viel geniest, aber ich kann nicht nähen, wenn es schmuddelig ist. Die Werkstatt von Helena Senner war immer picobello sauber und aufgeräumt.
Frau Sonnemann hat nichts dagegen, dass ich putze, während sie sich nach dem Frühstück (Jens hat mir auch noch Milchkaffee und ein Croissant gebracht) direkt an ihre Nähmaschine setzt. Sie näht tatsächlich auf einer uralten mechanischen Singer – einem wunderschönen, bestimmt 80 Jahre alten Modell, schwarz, zierlich und mit goldener Blume am Fuß. Wenn sie näht, macht es tok, tok, tok. So was Schönes sieht man sonst nur noch im Museum oder beim Trödelhändler. Die neue computergesteuerte Viking rührt sie nicht an.
»Damit kannst du arbeiten«, sagt sie, als sie meine verblüfften Blicke sieht. »… Wenn du mit Saubermachen fertig bist.«
Sollte das noch in diesem Jahr geschehen, werde ich es bestimmt tun, denn ich habe bisher nur mit elektrischen Maschinen gearbeitet.
Nachdem ich ungefähr 40 Mal geniest habe, bringt mir meine Chefin ein Tuch zum Vor-die-Nase-binden. Es ist aus weicher Seide.
»Das ist von einem echten Sari«, sagt sie. »Also bitte nicht reinschnäuzen, ja?«
Ich werde mich hüten. Einen guten Kleiderstoff erkenne ich auf 100 Meter Entfernung und weiß ihn zu schätzen. Nun sehe ich aus, als wäre ich ein Bankräuber, aber wenigstens dringt nicht mehr so viel Staub in Nase und Mund.
Am liebsten würde ich auch das schmuddelige Schaufenster sauber machen. Aber ich befürchte, das würde nicht viel bringen. Eigentlich müsste man nämlich die Holzverkleidung abreißen, mit der die Scheibe verschlossen ist. So eine seltsame Fensterkonstruktion habe ich noch nie gesehen. Es muss noch aus Zeiten stammen, in denen man Sonnenlicht für schädlich hielt. Ich beschließe, Frau Sonnemann erst darauf anzusprechen, wenn wir uns besser kennen. Nur die halb toten Blumen gieße ich in einem unbeobachteten Moment. Mal gucken, ob sie sich erholen.
Nach zwei Stunden Putzen habe ich eine Ecke im Laden sauber. Frau Sonnemann hustet wieder ziemlich stark. Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich erst einmal aufhöre.
In dem Moment öffnet sich zum ersten Mal am Tag die Ladentür. Ich bin erleichtert. Offensichtlich verirrt sich doch ab und zu ein lebendes Wesen hierher, in diesem Fall sogar eine recht junge Frau, die lässig in Jeans und T-Shirt gekleidet ist und – ach du lieber Schreck – die mir merkwürdig bekannt vorkommt.
Margret steht auf und begrüßt sie.
Ich lungere, mit Besen in der Hand und Tuch vor dem Gesicht, in einer Ecke und glotze. Ist das eine Fata Morgana oder steht da tatsächlich Vicki aus meiner alten Schule vor mir? Nein, das kann nicht sein. Berlin ist doch kein Dorf und diese attraktive junge Frau kann unmöglich Ficki, das Klassengespött, sein!
Sicherheitshalber gehe ich auf Tauchstation. Falls sie es nämlich doch ist, soll sie mich hier nicht sehen. Sie wird was abholen, dann verschwinden und sich hier nie wieder blicken lassen. Ich ducke mich blitzschnell hinter den Bügeltisch und warte. Ich höre, wie sich die beiden begrüßen. Klang das gerade wie ein Küsschen rechts und links? Sie duzen sich und beginnen ein fröhliches Geplauder. Nach fünf Minuten staut sich das Blut in meinen Beinen und sie beginnen zu schmerzen. Es hilft nichts. Langsam richte ich mich auf.
»Ach Rosi, du bist ja wieder aufgetaucht«, sagt meine Meisterin fröhlich. »Ich will dir mal eine Stammkundin vorstellen.«
Na super!
»Das ist Vicki.«
Damit sind meine Zweifel restlos beseitigt.
»… und das ist meine neue Angestellte, die Rosi Redlich.«
Ich halte mich an meinem Besen fest und rühre mich keinen Millimeter vom Fleck.
»Rosi, sag mal, willst du nicht das Tuch vom Gesicht nehmen und Hallo sagen?«, fordert mich Frau Sonnemann stirnrunzelnd auf.
So ähnlich hat sie mit meinem Namensvetter, ihrem Hundchen, wahrscheinlich auch gesprochen. Nein, will ich nicht!
Das letzte Mal, als ich Vicki gesehen habe, war ich Medizinstudentin im dritten Semester, und so habe ich mich auch aufgeführt. Wir haben uns im Zug getroffen, als ich meine Eltern besuchen wollte. Sie hat sich freundlich erkundigt, wie es
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