Glückskekssommer: Roman (German Edition)
viel besser und seine Nähe hätte mir gutgetan. Na ja, Männer! Sie sind eben manchmal ein wenig zimperlich.
Wenn es heute klappt mit der Arbeit (ich habe plötzlich ein ganz gutes Gefühl), dann kratze ich mein letztes Geld vom Konto zusammen und lade ihn zum Essen ein. In den letzten Wochen haben wir total aneinander vorbeigelebt, so, als wären wir nicht schon drei Jahre zusammen. Rob ist der Mann, den ich heiraten und mit dem ich Kinder haben will. Es wird Zeit, dass er meine Liebe endlich wieder zu spüren bekommt. Nach dem Essen werde ich ihn in mein Zimmer entführen. Nur er und ich. Mich überzieht eine Gänsehaut, wenn ich nur dran denke. Wir hatten ja wochenlang keinen Sex.
Zurück zur Gegenwart: In der Straße sind viele kleine Läden – ein Trödler, Lotto und Zeitungen, irgendwas Undefinierbares, ein Friseur. Kein protziger Hochglanz-Supermarkt – so richtig Berliner Kiez eben. Das gefällt mir. Aber eine Änderungsschneiderei finde ich trotzdem nicht. Ob sich der nette türkische Schneider geirrt hat?
Ich krame meinen Zettel aus der Handtasche. Nummer 27. Ich stehe direkt vor dem Haus und schaue die mehrstöckige Fassade hoch. Sollte sich ganz oben vielleicht eine Schneiderwerkstatt verstecken? Der kleine Laden im Erdgeschoss, in dessen finsterer Auslage ein paar traurige Pflanzen zwischen verschrumpelten Fliegen- und Wespenleichen vor sich hinwelken, kann es nicht sein. So sieht ein florierendes Atelier, in dem sie eine Angestellte brauchen, jedenfalls nicht aus.
Der gute Mann hat mir wohl die falsche Adresse gegeben.
Die Straße scheint nicht sehr lang zu sein. Wenn hier eine Schneiderei ist, werde ich sie schon finden. Angeekelt wende ich mich von der schmuddeligen Fensterscheibe ab, als plötzlich die Ladentür quietscht und eine ältere Frau in Jogginghosen, Schlabberpulli und mit Zigarette im Mundwinkel vor mir steht.
»Sie wünschen?«, fragt sie mit rauer Stimme und bläst mir eine Nikotinwolke ins Gesicht.
Sie sieht – positiv formuliert – so aus, als ob sie sich hier auskennt. Eigentlich erweckt sie den Eindruck, als wäre sie noch keinen Tag hier herausgekommen. Genauso habe ich mir den Wedding und seine Bewohner immer vorgestellt.
»Hier muss irgendwo eine Schneiderwerkstatt sein«, sage ich. Ich trete einen Schritt zurück, um dem stinkenden Qualm zu entgehen.
»Und was willst du da?«
Die Frage ist wirklich blöd. Was bitte will man bei einem Schneider? Da meine Eltern mich zur Höflichkeit erzogen haben, antworte ich, überlege aber fieberhaft, wie ich mich schnell von hier verdrücken kann. »Ich … Ich suche Arbeit.«
Die wachen, blauen Augen in dem von unzähligen Knitterfalten zerfurchten Gesicht der Frau mustern mich aufmerksam. »So ein hübsches Püppchen wie du will hier arbeiten?«
»Ja, warum denn nicht?«, antworte ich. Es klingt beherzter, als ich mich fühle. Was, wenn hier alle so raubeinig sind? »Wissen Sie denn, wo das Atelier ist?«, frage ich erneut.
»A-t-e-l- j-e-h?«
Die Frau betont genüsslich jede Silbe einzeln. Dann fängt sie an zu lachen. Das klingt ungefähr so, als würde Papa in seinem Werkzeugschuppen Metall sägen. Jäh wird sie von einem Hustenanfall geschüttelt. Für dieses Geräusch fehlt mir ein Vergleich. Ich widerstehe dem Drang, ihr auf den Rücken zu klopfen und will auch nicht dabei sein, wenn sie vor ihrem vergammelten Was-auch-immer-Geschäft das Zeitliche segnet. Ich habe zwar ein paar Semester studiert, aber die Reparatur von kaputten Dampfmaschinen stand auf keinem Lehrplan.
»Auf Wiedersehen. Ich muss weiter.«
»Warte.« Lachen und Husten enden abrupt.
Ich will eigentlich nicht, aber ich bleibe dennoch stehen.
Die Frau schmeißt ihre Kippe auf den Boden, tritt sie sorgfältig aus und streckt mir dann ihre Hand hin. »Margret Sonnemann«, sagt sie lächelnd. »Na, dann komm mal rein.«
Schlagartig wird mir klar, dass der nette türkische Mann sich gar nicht in der Adresse geirrt hat. Ich habe mich getäuscht, nämlich darin, dass ich dachte, er wäre nett. Stattdessen ist er wohl ein ausgemachter Fiesling. Was hat er sich dabei gedacht, mich hier hinzuschicken? »Sie suchen wirklich eine Angestellte?«
»Na ja, ich habe drüber nachgedacht. Hat Achmed dir das gesagt?«
Ich nicke und überlege, ob ich nicht einfach davonrennen soll.
»Er ist ein wirklich guter Freund«, sagt sie. »Hat gemerkt, dass es bei mir gesundheitlich nicht mehr so gut geht. Er will unbedingt, dass ich mich ein bisschen mehr
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