Glückskekssommer: Roman (German Edition)
kann selbst nicht fassen, dass ich ihn so lange vernachlässigt habe. Lila hat recht. Ich muss mehr auf mein Glück aufpassen, zumal es sich in letzter Zeit ziemlich rar bei mir macht.
»Hallo, Rosa«, sagt er.
Seine tiefe Stimme bewirkt ein wohliges Prickeln auf meiner Haut. »Rob!«, seufze ich. »Ich muss dich sehen heute Abend, unbedingt. Sag jetzt nicht, dass du nicht kannst.«
Er lacht. »Abgemacht, Kleines. Ich hol dich um 19 Uhr bei dir zu Hause ab.«
»Bis dann. Ich freu mich!« Glücklich schalte ich mein Handy aus und stecke es in meine Tasche. In der rappelvollen U-Bahn wird ein Platz frei. Ich setze mich und träume ein bisschen.
Selig und hingebungsvoll werde ich Rob um den Hals fallen. Er wird seine starken Arme um mich legen. Ich werde mich an ihn schmiegen und mit meinen Händen durch seine dunkelbraunen Locken fahren.
Wie bitte? Oh, mein Gott. Was für Locken? Robs blonde Haare sind doch kurz geschoren.
Was ist bloß mit mir los? Nicht mal vernünftig träumen kann ich mehr.
Am U-Bahnhof Seestraße steige ich aus und sprinte zur Werkstatt. Heute will ich mit dem Putzen fertig werden und mich dann meiner wirklichen Aufgabe widmen. Endlich wieder nähen!
Am ›Schraders‹ stellt Oskar gerade die Stühle raus. »Hallo, Rosi«, ruft er und winkt. »Nimmst du gleich euer Frühstück mit?«
Ein paar Minuten später öffne ich, bepackt mit Kaffeebechern, Sandwichtellern und zwei Glückskeksen, die Tür zum Laden. Die Dinger verfolgen mich, aber wenn ich ehrlich bin, will ich schon wissen, was die nächsten Tage mir – laut Glückskeksorakel – so bringen. Heute muss es etwas Schönes sein, denn Rob ist endlich wieder ganz normal zu mir.
Frau Sonnemann ist noch nicht an ihrem Platz.
»Guten Morgen«, rufe ich und stelle meine Sachen auf dem Tresen ab. Ich höre keine Antwort, nur ein komisches Geräusch aus dem Badezimmer. »Frau Sonnemann?«
Ich gucke mich im Laden um und finde, dass man schon richtig sieht, wie fleißig ich hier seit ein paar Tagen gewirbelt habe. Es ist sauber und riecht nach Zitronenreiniger, den ich großzügig beim Putzen einsetze. Wenn ich doch nur das Fenster aufmachen dürfte! Jetzt noch ein bisschen Sonnenlicht statt Neonröhren, und die Werkstatt würde richtig einladend aussehen!
Das komische Schnaufen aus dem Bad beunruhigt mich. Ich lege mein Ohr an die Tür und lausche.
»Frau Sonnemann?«, rufe ich und poche leise an die Tür. »Ich bin da und habe das Frühstück mitgebracht. Ist alles okay?«
Die Tür öffnet sich ruckartig und da sie nach außen aufgeht, kann ich mich nur durch einen blitzschnellen Hechtsprung vor einer gebrochenen Nase retten.
»Was soll denn sein, Rosi?«
Frau Sonnemann sieht blass aus und ihre Augen sind gerötet. Wäre ich Ärztin, würde ich sie ins Bett stecken oder wenigstens ein paar Tage in Licht und Sonne. Aber ich bin ihre Angestellte, und sie hat mir gerade klar gemacht, dass sie nicht mit mir über ihre Befindlichkeit sprechen möchte. Aber mein Beschluss steht felsenfest. Das Fenster muss auf! Das dauernde Dämmerlicht macht nämlich krank und depressiv. Beim Frühstück, das sie zum Glück mit gutem Appetit verzehrt, nehme ich all meinen Mut zusammen.
»Ich würde dann heute das Schaufenster machen.«
»Mmh.«
»Das heißt also … ja?«
»Das Fenster ist doch in Ordnung.«
»Na ja, abgesehen davon, dass überhaupt kein Licht reinkommt. Ich meine, draußen scheint die Sonne und hier drin ist es finster wie im …« ›Loch‹ will ich sagen, schlucke es aber rechtzeitig hinunter.
»Du willst wohl alles verändern, wie?«
»Nein!«, rufe ich. »Nein, aber wenn wir die Verkleidung abreißen, dann können wir lüften. Das wäre doch gut bei all dem Staub. Dann müssen Sie auch nicht mehr so viel husten. Sie, äh … Sie husten ziemlich stark. Waren Sie schon beim Arzt deswegen?«
»Meine Lunge ist nicht okay. Sarkoidose, falls dir das was sagt«, antwortet Frau Sonnemann. Ihre Stimme klingt gereizt. Dann seufzt sie und holt aus ihrer Jogginghose ein Päckchen Zigaretten hervor. »Da hilft frische Luft auch nicht mehr. So, nun weißt du Bescheid. Wie ich dich kenne, würdest du ja doch keine Ruhe geben, bis du es herausgefunden hast.«
Dafür, dass ich erst so kurz bei ihr bin, kennt sie mich schon ziemlich gut.
Ich krame in meinem Gehirn nach längst verschüttetem Medizinwissen. Sarkoidose? Was war das noch gleich? Also, da war doch was … »Das hatte neulich ein Patient bei ›Dr. House‹«, fällt es
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