Glückskekssommer: Roman (German Edition)
aber jetzt tut Victoria mir plötzlich leid. Ziemlich spät wird mir klar, wie sehr sie als Jugendliche gelitten haben muss. Ich schäme mich für meine Charakterlosigkeit – und kapiere, wie Lila tickt.
Aber warum macht sie das jetzt mit mir? Ich bin doch ihre beste Freundin! Ich stehe unter Schock.
»Weißt du, was aus Daniel geworden ist?«, frage ich, weil mir nichts anderes einfällt. Ich hoffe inständig, dass es nicht die falsche Frage war. Vielleicht liebt sie ihn ja immer noch. Oder er hat sich aus Kummer über seine verlorene erste Liebe in irgendeinen Fluss gestürzt?
»Er ist Innenarchitekt, hier in Berlin«, antwortet Vicki. Sie wirft noch immer begehrliche Blicke auf mein Schokocroissant. »Wir sehen uns regelmäßig.«
»Und? Hat er sich auch so verändert?«
»Du meinst, ob er noch so fett ist wie damals?«
Okay! Das war jetzt wirklich die falsche Frage. Ich bin ein Trampeltier. »Fett? Na ja, ich meine, er war gar nicht fett, nicht wirklich jedenfalls. Und du – äh – übrigens auch nicht.«
Ich grinse verlegen. Vicki lässt mich hilflos herumstottern und sagt keinen Ton. »Außerdem bist du ja jetzt schlank, geradezu dünn«, fahre ich fort. »Du … Du könntest Modell werden, bei deiner Größe.«
Ich sehe die grazile Vicki über einen Laufsteg gehen – mit einem weiten, wehenden Rosa-Redlich-Kleid. Sie sieht umwerfend aus. Wie ein Mensch sich so verändern kann!
Als ich meinen Blick von innen wieder nach außen richte, isst (und das ist sehr vornehm ausgedrückt) Vicki mein Schokocroissant auf – mitsamt Banane und bunten Streuseln.
»Großer Gott, ist das gut!«, seufzt sie mit vollem Mund und schickt verzückte Blicke gen Himmel. Ihre Lippen sind mit Schokocreme verschmiert wie bei einem Kleinkind. »Weißt du, wie viele Jahre ich keine Schokolade gegessen habe?«
Es müssen viele gewesen sein, denn nachdem sie mein Croissant heruntergeschlungen hat, bestellt sie sofort hungrig ein weiteres und mehrere Portionen Schokoaufstrich. Ihren Obstteller hat sie zu mir über den Tisch geschoben. Jens kommt lachend zu uns.
»Wenn ihr so weitermacht, muss ich auf den Großmarkt zum Nachschub holen«, sagt er. »Was ist denn los mit euch?«
Ich zeige auf Vicki. »Sie hat gerade die heilsame Wirkung von Schokolade wiederentdeckt.«
Vicki nickt begeistert. »Bringst du uns noch ein paar Glückskekse, Jens? Die sind lustig.«
»Na klar!«
»Nein!«, schreie ich. Ich habe gestern genug Pech gehabt und keine Lust auf einen Nachschlag.
»Keine Widerrede!«, bestimmt Vicki. Sie wischt sich ihren Schokoladenmund mit einer Serviette ab. »Ich habe eine tolle Idee. Pass mal auf.«
Als Jens mit den Keksen kommt, bricht sie ihren auf, liest den Spruch, füllt dann in den leeren Keks Schokolade hinein und setzt als ›Deckel‹ eine Bananenscheibe obendrauf. »Lecker!«
»Du weißt aber schon, dass das dick macht, oder?« Ich will nämlich nicht schuld daran sein, wenn sie wieder zunimmt.
»Scheiß drauf«, lacht sie. »Keine Angst, Rosa, die alten Zeiten kommen nicht zurück, bei dir nicht und bei mir auch nicht.« Sie schaut mich mit ihren grünbraunen Augen fröhlich an.
Katzenaugen.
Ich glaube, nein, ich bin sicher, dass ich Vicki mag.
»Und jetzt lies, was in deinem Keks steht!«, fordert sie mich auf.
»Zuerst du.«
»›Ein Einkauf wird sich als vernünftige Investition erweisen‹«, verkündet sie ausgelassen. »Das gefällt mir.«
Ich beneide sie. Den Spruch hätte ich mir auch gefallen lassen. Der klingt wirklich ungefährlich. Widerwillig breche ich mein Gebäck auf und hoffe, dass es nicht wieder etwas Arges wird.
Eine herausfordernde Überraschung wartet.
Ja, na klar! Es wäre auch zu schön gewesen, wenn mal ›Es wird ein ganz und gar langweiliger Tag‹ oder ›Alles easy‹ auf dem kleinen Zettel gestanden hätte. Ich will überhaupt keine Überraschung. Die gestrige hat durchaus gereicht. Mit einem Mal weiß ich, was ich tun muss, um die chaosbringenden Glückskekse aus meinem Leben zu verbannen. Ich werde es so machen, wie die Eltern von Dornröschen mit den Spindeln: verstecken, verbieten, vernichten und wegwerfen. Jawohl! Gleich heute Abend zu Hause fange ich an. Alle Päckchen aus der Vorratskammer (sorry, Oma!) werde ich in den Müll tragen. Dann werde ich allen erzählen, dass ich eine Glückskeksallergie habe und Oma bitten, keine mehr im Supermarkt für mich zu kaufen. Dann sollte eigentlich Ruhe sein.
Feierlich tue ich es Vicki gleich. Ich
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