Glückskekssommer: Roman (German Edition)
verwöhnt die Rosa nach Strich und Faden«, sagte sie eines Tages entrüstet zu Mama.
Meine Eltern hatten, wie gewohnt, nach kurzer Quengelei nachgegeben.
»Die wird ein Biest, wenn ihr nicht aufpasst.«
Aber nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil, ich war meistens ein wahrer Sonnenschein. Warum hätte ich ein Biest werden sollen? Es ging mir doch fantastisch.
Lila musste zu Hause im Haushalt helfen, die Kaninchen ausmisten und als sie in die Lehre ging, sogar Kostgeld abgeben. Als Kind war sie unkompliziert, aber in der Pubertät änderte sich das. Da ihre Eltern so streng waren, fing sie an, ihren Willen mit Tricks und Kniffen durchzusetzen. Tante Susanne und Onkel Thorsten hatten keine Ahnung, was ihre süße Lila für ein Lügenengel sein konnte. Hat sie damals gelernt, was ich nun so heftig zu spüren bekommen habe? War sie da auch schon neidisch auf mich? Weil ich auf der Hängematte lag und glaubte, dass mein Leben ein großer Selbstbedienungssupermarkt ist?
Jetzt ist mir klar, warum ich so ein Sonnenschein geworden bin. Man geht so durchs Leben, wie man es gelernt hat. Und ich hatte grenzenlose Liebe und Vertrauen gelernt!
Allerdings kann ich nicht behaupten, dass ich sehr gut auf das Erwachsensein vorbereitet war. Nachdem ich bei meinen Eltern ausgezogen war, hatte ich überhaupt keine Ahnung, wie ich allein klarkommen sollte. Ich lief ziellos herum wie Gretel durch den Wald. Leider ohne Kieselsteine. Als nichts mehr ging, flüchtete ich zu Lila und ließ mich wieder von vorn bis hinten bedienen. Ich kannte es einfach nicht anders. Zum Glück fand ich dann endlich einen Beruf.
Ja, unselbstständige Prinzessinnen sind zwar lieb, aber auch ziemlich anstrengend für ihre Umwelt. Klar, dass manche Leute genervt von mir sind. Doch soll ich meinen Eltern die Schuld dafür geben? Niemals. Sie haben getan, was sie für richtig hielten, auch wenn es vielleicht nicht immer richtig war – und ich bin sicher, sie haben es aus Liebe getan.
»Ich glaube, deine Tochter liebt dich trotzdem«, sage ich leise zu Karl. Ich hoffe sehr, dass er mir glaubt. Er sieht so verloren aus.
»Was liest du da, Kindchen?«, fragt er.
Er zeigt auf mein Skizzenbuch, dessen Einband aus meiner Handtasche guckt. Ich sehe, wie viel Kraft ihn das Reden gekostet hat und kann ihn verstehen. Wer bittet schon gern jemanden um Verzeihung? Da ist immer die Angst, abgewiesen zu werden. Andererseits – jeder macht doch Fehler. Das gilt für Väter und für Töchter.
»Es ist kein Buch zum Lesen«, sage ich. Ich zeige es ihm. »Es ist mein Malbuch. Ich habe manchmal Ideen, was ich gern nähen würde und das zeichne ich dann.«
Karl beginnt zu blättern. »Das gefällt mir sehr«, sagt er lächelnd. »Margret hat recht. Du bist ein Naturtalent.«
Das hat Margret über mich gesagt? »Danke!«, sage ich und werde knallrot. »Ich muss dann auch mal wieder an die Arbeit.«
Schon das zweite große Lob heute. Das tut gut. Als ich die Werkstatt betrete, habe ich zum ersten Mal seit Tagen Lust, ein neues Kleidungsstück für mich zu nähen.
*
Mein Handy klingelt. Es ist bereits dunkel draußen. Die knallrote, chinesisch inspirierte Seidenbluse ist fast fertig. Sie ist schlicht und dabei doch elegant. Eine dunkelhaarige Frau könnte sie gut tragen. Vielleicht Anne mit ihrem rabenschwarzen Drama-Make-up?
»Ja?«
»Rosa, hier ist Vicki. Wo bleibst du denn?«
»Äh …«
Was meint sie, wo ich bleibe? Ach so! Ich wohne ja bei ihr.
Seit ich mich von Karl Kasulke nach dem Kaffee verabschiedet habe, bin ich abgetaucht in meine kleine Welt aus Schnitten, Stoffen und Garnen und habe alles um mich herum vergessen.
»Rosa? Wir wollen mit dir ausgehen«, sagt Vicki. »Soll ich dich irgendwo abholen?«
Bloß nicht! Ich will nicht ausgehen. Lieber noch meine Bluse fertigmachen. »Heute nicht, Vicki«, sage ich. Ich setze eine möglichst leidende Stimme auf.
Warum sage ich ihr eigentlich nicht die Wahrheit? Ich mag heute nicht. Fertig. Na ja, vielleicht ist sie dann sauer. Und das will ich nicht. »Ich … Ich habe Kopfschmerzen.«
»Ach, du Arme. Bist du bei deiner Oma? Soll ich dich noch schnell nach Hause fahren?«
»Nein, ich bin auf der Arbeit«, sage ich wahrheitsgemäß. Dann beiße ich mir auf die Zunge. Ich bin zu doof zum logischen Schwindeln.
»Rosa«, ruft Vicki prompt. »Es ist Freitag 22 Uhr. Was bitte machst du jetzt noch in der Werkstatt? Und das, obwohl du Kopfschmerzen hast?«
»Ich habe so viel zu tun.«
»So
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