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Glückskekssommer: Roman (German Edition)

Glückskekssommer: Roman (German Edition)

Titel: Glückskekssommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Hohlfeld
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sage ich und reiche ihr die Hand. »Ich bin eine gute Bekannte von Ihrem Vater. Er ist krank, genauer gesagt, liegt er im Sterben …« Ich muss eine kurze Pause machen. Das ist unglaublich hart, was ich ihr für Nachrichten bringe. Als ich weiterrede, bin ich so bewegt, dass ich mal wieder mit den Tränen kämpfe.
    »Ich hoffe, dass ich Sie überreden kann, ihn zu besuchen.« Jetzt ist es raus. Aber war ich wirklich diplomatisch, wie mein Glückskeks mir angeraten hat? Wohl eher nicht.
    Angelika ist ein wenig blass geworden. Scheinbar gefasst stellt sie ihre Aktentasche ab und hängt den Trenchcoat auf einen Bügel. Ich sehe an ihrem verkniffenen Mund, dass sie die Zähne aufeinanderpresst. Sie ist aufgeregt. Ihr ist nicht gleichgültig, was ich gerade gesagt habe. Ihre grauen Augen mustern mich kalt, als sie sich mir zuwendet.
    »Hat er Sie geschickt?« Ihre Stimme klingt beherrscht, beinahe emotionslos.
    Ich schüttele den Kopf. »Ich bin von allein gekommen.«
    »Dann sollten Sie auch von allein gehen«, antwortete sie. »Wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufe ich die Polizei.«
    »Wie bitte?« Ich starre sie fassungslos an. Das ist weit mehr Widerstand, als ich erwartet habe. Sie geht an den Eingang und reißt die Tür auf.
    »Jetzt!«
    Wie mechanisch gehorche ich. Schon schließt sie hinter mir. Nein! So schnell darf ich nicht aufgeben. Das hier ist meine einzige Chance! Mit dem Mut der Verzweiflung stelle ich meinen Fuß in den Türrahmen.
    »Also, das gibt es doch nicht …«
    »Hören Sie mir zu«, sage ich. »Nur einen Moment, dann kann ich immer noch gehen. Ihr Vater ist todkrank. Er hat mir erzählt, dass Sie böse auf ihn sind. Aber er liebt Sie! Er trägt immer ein Foto von Ihnen in seiner Brieftasche und wenn er von früher redet, dann sieht man, wie leid ihm tut, dass er sich nicht um Sie gekümmert hat.«
    »Das wissen Sie alles?« Angelika schaut mich verwundert an und öffnet die Tür wieder einen Spalt.
    »Ich bin seine Schneiderin. Ich habe alle seine Sachen enger gemacht, weil er so abgenommen hat durch die Krankheit. Wir trinken manchmal eine Tasse Tee zusammen.«
    Sie verengt ihre Augen zu Schlitzen und mustert mich von Kopf bis Fuß. »Als Schneiderin verdient man nicht so viel, oder?«
    Sie unterhält sich mit mir! Ich bin so erleichtert. Hoffentlich wird sie mich wieder hereinbitten. Dann kann ich ihr alles über Karl erzählen. Ich lächle sie freundlich an. »Nein, das nicht. Aber ich will später noch Meisterin werden«, erkläre ich. »Und dann möchte ich meine eigene Änderungsschneiderei …«
    » Sie werden bestimmt nichts erben. Dafür sorge ich.«
    Wie bitte? Was hat sie gerade gesagt?
    Als ich begreife, schießen mir die Tränen aus meinen Augen. Diese Frau denkt tatsächlich, ich kümmere mich um ihren Vater, weil ich etwas erben will?
    »Ich bin Anwältin«, sagt sie jetzt. »Ich habe schon in alle menschlichen Abgründe gesehen. Mich wundert gar nichts mehr.«
    Mich schon. Langsam ziehe ich den Fuß aus der Tür. Es ist zwecklos. Diese Frau ist kalt wie Eis. Ich kriege prompt eine Gänsehaut. Lieber bleibe ich ein naives Dummchen, als dass ich jemals so böse über die Menschen denke wie sie. Vielleicht ist es sogar besser, wenn Karl sie nicht mehr wiedersieht.
    »Er ist ganz allein«, sage ich. Ich wende mich langsam ab, während ein paar Tränen über mein Gesicht laufen. Dann sehe ich ihr doch noch einmal in die Augen. »Kapieren Sie das nicht? Niemand will so sterben wie er«, platzt es aus mir heraus. »Ohne eine Familie, ohne die eigenen Enkelkinder zu kennen. Sie machen aber denselben Fehler wie er damals. Da drin sind Ihre beiden kleinen Jungs – den ganzen Tag ohne Eltern. Wollen Sie, dass die beiden, wenn Sie groß sind, auch nicht mehr mit Ihnen reden? Oder sollen Leon und Luca stolz sein, dass ihre Eltern einen tollen Beruf haben und ihnen all das hier bieten können? Für wen arbeiten Sie, wenn nicht für die Familie, für Ihre Kinder? Und für wen hat Ihr Vater es getan?«
    Angelikas strenge Gesichtszüge lösen sich auf. Sie sieht auf einmal zehn Jahre älter aus. Aber sie tut mir nicht leid. Sie starrt mich tonlos an.
    Ich wende mich ab und gehe. Bloß weg hier. So tief getroffen wie heute war ich lange nicht.
     
    *
     
    »Ja, Kind, wo bleiben Sie denn?«
    Langsam schließen die Läden im Kiez. Im ›Schraders‹ versammeln sich die ersten Cocktailgäste. Ein warmer Spätsommerabend, der zum Müßiggang einlädt, beginnt.
    Und vor Margrets Werkstatt

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