Glückskind (German Edition)
heraus, der schon in die Jahre gekommen ist. »Er gehörte meiner Tochter«, sagt Herr Wenzel, »aber sie hat keine Kinder bekommen, deshalb dachte ich: besser so, als dass er vergammelt.« Er sieht ein wenig traurig aus, findet Hans und denkt unwillkürlich daran, dass er selbst nicht einmal weiß, ob Hanna und Rolf Kinder haben. Bisher ist er fest davon ausgegangen und hat sich selbst dafür bemitleidet, dass er sie nicht kennt. Aber vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht haben sie entschieden, nicht noch einmal durch diese Geschichte zu gehen, die schon beim ersten Mal nicht schön war. Er seufzt. Da stehen sie, zwei trostlose alte Männer voller schmerzlicher Erinnerungen. Einen Moment lang fühlt Hans sich wieder verloren, es ist ein schrecklicher Moment, als ob sich nie etwas verändert hat, als ob Felizia gar nicht in sein Leben gekommen ist. Als ob er und Herr Wenzel nur zwei Teile desselben Unglücks sind. Aber der Moment verstreicht und Hans lächelt Herrn Wenzel an und sagt: »Danke, das ist sehr nett von Ihnen.« Der Anzug ist ein wenig zu groß, in diesem Winter wird Felizia ihn nicht benutzen können. Doch das stört Hans nicht, im Gegenteil, es freut ihn sogar, denn es bedeutet, dass Hans und Felizia zusammengehören, heute und in Zukunft.
Als Nächstes kommt ein Stofftier zum Vorschein, eine kleine Maus mit einem roten Rock und langen, dünnen Beinen. Ihr spitzes Näschen ist ein brauner, runder Stoffknubbel, sie hat lange, aufgenähte Wimpern und lächelt. »Meine Tochter hat sie Mimi genannt, aber Felizia kann sie natürlich so nennen, wie sie will«, sagt Herr Wenzel. Mimi ist weich und flauschig und wird weiterhin Mimi heißen, denkt sich Hans. Er ist ganz sicher, dass Felizia Mimi mögen wird.
Herr Wenzel, der sehr zufrieden aussieht, bringt nun eine neue Rassel und einen Kauring zum Vorschein und legt beides auf den Tisch. Das Geben und Nehmen hat sich gewandelt, es ist kein Wunder mehr, sondern ein stillschweigendes Einverständnis, eine Routine. Nun ist die Tüte leer. Herr Wenzel faltet sie sorgsam zusammen, er ist kein Mensch, der Dinge verschwendet, wenn man sie noch benutzen kann. Es entsteht ein Schweigen zwischen ihnen. Dann sagt Herr Wenzel zögerlich: »Hans, ich will nicht, dass du jetzt denkst, ich hätte mich eingekauft ...«, er zögert, Hans versteht nicht, »... es ist nur so: Ich bin ein nutzloser alter Mann, genau wie du.« Erwartet, doch Hans reagiert nicht, er fühlt sich nicht nutzlos. Herr Wenzel fährt fort: »Mein Laden ist das Einzige, was mir geblieben ist an Beschäftigung. Zweimal im Jahr besucht meine Tochter mich und bleibt zwei, drei Tage, bevor sie wieder in ihr schnelles Leben verschwindet.« Er macht eine Pause und schaut Hans hilflos an. »Dieses Kind, das du gefunden hast, kann doch auch zwei Großväter gut gebrauchen, meinst du nicht?« Hans nickt langsam, er versteht immer noch nicht. Herr Wenzel sagt: »Meine Tochter braucht nichts mehr von mir, ich habe ihr alles gegeben, sie geht ihren Weg. Und sie war eh immer ein Mamakind.« Er seufzt. »Ich habe deshalb beschlossen, euch beiden unter die Arme zu greifen, das heißt, wenn du einverstanden bist.« Herr Wenzel zieht einen Umschlag aus seiner Jackentasche und legt ihn auf den Tisch. Dann schaut er Hans erwartungsvoll an. Hans setzt sich auf einen Stuhl und schaut den Umschlag an, der auf dem Tisch liegt. Damit hat er nicht gerechnet. Er macht den Umschlag auf und zählt. Zweihundertfünfzig Euro. Er will Nein sagen, er spürt, wie der Stolz sich in ihm regt. Geld annehmen! Von einem Fremden! Aber er schluckt das Gefühl und die Gedanken hinunter, denn er braucht das Geld. Er sieht Herrn Wenzel an und sagt etwas zu laut: »Alle Kinder haben zwei Großväter.« Er lächelt Herrn Wenzel an, als hätte er einen Witz gemacht, aber es genügt nicht, das merkt er sofort. Leise sagt er: »Danke, Herr Wenzel.« Er senkt den Kopf und fühlt sich wie ein armer Mann, der keine Wahl hat und weiß, dass dieses Gefühl die Wahrheit sagt. Er weiß auch, dass Herr Wenzel sich eingekauft hat in die Fürsorge für dieses Findelkind, das erst gestern niemanden mehr hatte.
Sie sitzen noch eine Weile beisammen, Hans hat Kaffee gekocht, einen Espresso, jetzt trinken sie ihn gemeinsam. Dann muss Herr Wenzel wieder zurück in den Laden, aber zuvor geht er ins Schlafzimmer und wirft einen liebevollen Blick auf Felizia, die immer noch schläft. Er beugt sich über sie und betrachtet ihr kleines Gesicht mit dem
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