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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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er zu Fuß nach Hause gegangen war.
    Im Zug öffnet er seinen Mantel und dreht Felizia um, so dass sie über den Rand des Wickeltuchs schauen kann. Felizia kommt gar nicht mehr aus dem Staunen heraus über die vielen Menschen, die vielen Stangen, die vielen Sitze, die vielen Lichter und die vielen Geräusche. »Alles das hättest du fast nicht gesehen«, murmelt er, während er ihren Hinterkopf küsst. An einem besonders großen Bahnhof steigen sie um in eine andere U-Bahn.
    Nach einer halben Stunde sind sie da. Jetzt muss Hans Felizia wieder mit dem Gesicht zu seiner Brust drehen, damit er den Mantel schließen kann. Sie quengelt, aber das viele Schauen war so anstrengend, dass sie nach kurzer Zeit eingeschlafen ist. Schade, denkt Hans, denn jetzt gehen sie über eine kleine Brücke, die über einen kleinen Fluss führt, und auf der anderen Seite ist schon ihr Ziel. An der Kasse stellt Hans fest, dass der Eintritt so teuer ist, dass er ihn nicht bezahlen kann. Es ist sonst niemand da, der hineinmöchte. Hans ist perplex. Daran hat er gar nicht gedacht. Er spürt, wie mit der Enttäuschung alle möglichen Gefühle hervordrängen, wie Motten, die endlich eine Lichtquelle entdeckt haben. Er kennt ein jedes beim Namen, es sind uralte Bekannte, die sich nur ein paar Stunden lang vor ihm verborgen hatten. Jetzt sind sie wieder da und wollen die Macht übernehmen, wollen, dass er sich wieder wie ein Versager fühlt, wie einer, der nicht einmal Geld hat, um in den Zoo zu gehen, der nicht einmal klug genug ist, sich zu fragen, ob er überhaupt Geld hat, bevor er losfährt, wie einer, der immer schon zu kurz gekommen ist, wie einer, dem natürlich mal wieder so etwas passieren muss. Aber dann schaut er nach unten, dort schläft sein Kind, das hat schon genug gesehen auf der Fahrt hierher. Hans blickt die Frau an, die dort an der Kasse sitzt und wartet. Er zuckt mit den Schultern. »So ein Pech. Aber da kann man nichts machen.«
    Die Frau sagt: »Wissen Sie was? Heute ist so wenig los, da macht es auch nichts, wenn ich Sie einfach hereinlasse. Gehen Sie nur!« Sie lächelt ihn an. Ihre Logik ist fragwürdig, aber ihre Absichten sind edel.
    So besucht Hans doch den Zoo. Wie lange ist er nicht hier gewesen? Hans lacht in sich hinein, als er sich die Antwort gibt. Ja, denkt er, mindestens so lange. Er spaziert durch die Anlage, die sich seit damals kaum verändert hat. Wie eine unverhoffte Heimkehr fühlt es sich an. Die Tiere kommen ihm vor wie alte Freunde, obwohl bestimmt kein einziges von damals noch lebt. Aber das macht nichts. Die Hirsche sehen immer noch aus wie Hirsche, die Tiger wie Tiger, die Elefanten wie Elefanten. Hans erinnert sich an die Wege, und obwohl es regnet, genießt er seinen Spaziergang. Er hat kein Geld, sich an einem der Stände eine Crêpe oder ein Eis oder sonst irgendetwas zu kaufen, aber auch das ist nicht weiter schlimm. Bald sind seine Schuhe durchnässt, seine Füße werden kalt, doch es stört ihn nicht. Er wandert durch den Zoo, der ihn von Europa nach Amerika, von Amerika nach Afrika führt. Plötzlich steht er in Australien, und in Australien hüpfen triefend nasse Kängurus durchs Gehege. Felizia wird sie nicht sehen, sie schläft tief und fest. Aber Hans steht dort und erinnert sich an Hanna und Rolf, die links und rechts neben ihm standen, wie alt waren sie da? Er weiß es nicht mehr, aber es war zu einer Zeit, als sie noch eine Familie waren, die ihr Geheimnis vor der Welt und vor sich selbst hütete, das Geheimnis der Fliehkräfte, die längst an ihnen zerrten. Aber hier standen sie, und Karin schoss ein Foto, erst vor Kurzem hat Hans es gesehen. Er dreht sich um, die Kängurus in seinem Rücken. Dort. Genau dort stand Karin und drückte auf den Auslöser, und sie lächelten, ein jeder für sich, blind in die Linse der Kamera, aber das wussten sie nicht, und das Foto zeigt eine glückliche Familie vor australischen Kängurus, die Mutter fehlt. Warum haben sie niemanden gebeten, ein Foto von ihnen allen zu machen? Hans kratzt sich am Kinn. Keine Ahnung, denkt er, vielleicht fehlte dazu doch das Glück und sie mussten einen verborgenen Hinweis geben, damit es irgendwann einmal auffiele, damit er, Hans, jetzt hier stehen und darüber nachdenken kann, ob es ein verborgener Hinweis war.
    Hans dreht sich wieder um, schaut den Kängurus zu, die träge durchs Gehege hüpfen. Ob es auch Tiere aus Neuseeland gibt?, fragt er sich plötzlich und wünscht mit einem Mal nichts mehr als dies: ein

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