Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
ersticken, erfrieren, verhungern, verdursten, verbrennen oder von einem Verrückten über den Haufen geschossen werden. Dass wir durch die Mangel gedreht werden, erwürgt, erdrosselt, erschlagen. Dass uns der Stier auf die Hörner nimmt, ein besoffener Bierkutscher einfach vom Gehweg fegt, mit dem Frühstücksbrötchen in der Hand. Dass wir von einer Sekunde auf die andere abtreten oder elend krepieren über 25 Jahre. Die Reise des Lebens schließt den Tod mit ein.
Die Lebenserwartungsstatistik ist auch nur eine trügerische Hoffnung – sie täuscht Sie darüber hinweg, dass Sie heute sterben können. Doch wie wollen wir dem Sensenmann nun entgegensehen? Ist er gut, schlecht oder naja, irgendwie total geht so? Hier ist die Welt wie immer geteilter Meinung. Einige sagen, das »Gar-nicht-mehr-sein« für den »Gar-nicht-mehr-Seienden« weder gut noch schlecht sein kann. Andere sagen, dass das Ausgelöschtwerden, das völlige Abschneiden jedes jetzigen und künftigen Lebens der Worst Case ist, |124| das nackte Grauen. Wieder andere sagen, dass der Tod ein Segen ist, weil es wohl öd und fad wäre, ewig zu leben.
Stirbt jemand, den wir kennen, bedauern wir ihn. Er kann die Sonne nicht mehr sehen und auch den Duft des Brotes im Toaster nicht mehr riechen. Das Ende aller guten Dinge des Lebens ist sicher ein Grund, traurig zu sein. Wir wollen mehr und mehr von dem, was wir am Leben schätzen. Doch das reicht nicht aus als Erklärung für die Größe der Angst, die der Tod den Menschen einflößt.
Der Gedanke, dass die Welt ohne mich weitergeht und dass ich nichts werde, ist nur schwer zu ertragen. Komisch eigentlich. Denn dass es eine Zeit ohne uns vor unserer Geburt gab, akzeptieren wir klaglos.
Der Tod scheint für uns unvorstellbar. Doch das stimmt nicht ganz. Wir können uns den Tod zwar nicht aus der Innenperspektive vorstellen. Wir können uns ja auch nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, bewusstlos zu sein. Das Ende ist aber nicht komplett undenkbar. Um uns die eigene Auslöschung vorzustellen, können wir die Außenperspektive wählen. So können wir unser Begräbnis erleben, indem wir uns als Teilnehmer des Trauerzuges sehen. Wir leben natürlich bei diesem Gedanken. Doch das ist genauso unproblematisch wie bei Bewusstsein zu sein, während man sich seine Bewusstlosigkeit vorstellt.
Stellen Sie sich also Ihren Körper vor, in dem jedes Empfinden zu Ende gegangen ist. Das führt uns direkt zum Dualismus von Leib und Seele. Erinnern sie sich noch an den Duracell-Hasen aus der Werbung? Steckt eine Batterie drin, die noch Saft hat, trommelt er. Und trommelt. Und trommelt. Sie können aus dem Hasen die Batterie rausnehmen, dann ist Schluss mit der Trommelei. Besitzen wir eine unsterbliche Seele und einen sterblichen Körper, sind wir wie der Duracellhase mit seinem Batteriefach. Es lässt sich denken, wie ein Leben nach dem Tod möglich wäre: als alter Hase mit neuer Batterie oder neuer Hase mit der alten Batterie oder ein Hase ohne Batterie – alles denkbar, solange die Batterie auswechselbar ist. (Deshalb ist ein iPhone hier auch ausnahmsweise ein schlechtes Beispiel.)
Sollte allerdings unser Geist an die physischen Vorgänge in unserem Hirn gebunden sein, wird die Sache komplizierter. Denn wenn |125| die Batterien fest eingebaut sind, ist alles vorbei, sobald der Hase aufhört zu trommeln. Nichts in ihm kann dann einen anderen Hasen zum Trommeln bringen. Wir fliegen einfach in den Müll.
Das Paradies der Toten ist in den Köpfen der Lebenden.
Wir könnten allerdings versuchen, im Spielzimmer zu bleiben, bis das Aufladen der Batterie in ferner Zukunft möglich ist. Das könnte wahr werden. Seit 30 Jahren lassen sich Amerikaner einfrieren, um sich wiederbeleben zu lassen, wenn die Technik so weit ist. Manche verfolgen fieberhaft die Axolotl-Forschung, in der Hoffnung, dass wir herausfinden, wie die jungen Exemplare dieses mexikanischen Schwanzlurchs komplette Gliedmaßen und Organe ihres Körpers bei Verlust nachwachsen lassen. Wenn dieses Rätsel entschlüsselt ist, können wir unsere Körper vielleicht immer wieder aufs Neue regenerieren und damit nicht nur schlimme Verletzungen bis hin zur Querschnittlähmung überwinden, sondern auch unseren Tod. Andere glauben, dass mit dem Fortschritt der Informationstechnologie unser Geist irgendwann in eine Maschine einziehen kann, wenn unser Körper gebrechlich geworden ist. Ich würde jedenfalls nicht für unmöglich halten, dass der Mensch den Tod eines Tages
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