Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
keine einfangen, stimmt etwas mit dem Netz nicht, denn das Meer kocht nur so vor lauter Chancen.
Bitte verstehen Sie das richtig. Ich halte kein Plädoyer gegen die Schule, ich rufe niemanden dazu auf, die Schule zu verlassen. Ich polemisiere auch nicht gegen Otto-Normal-Bildungswege und 08/15-Berufe. Das alles kann für den Einzelnen große Chancen bergen. Ich sage nur: Die Schule allein hilft gar nichts, solange der Kleinmut das Leben bestimmt.
Den größten Fehler machen viele Menschen schon sehr früh: Sie versuchen das zu machen, was die meisten machen. Sie fischen mit zu kleinen Netzen. Die dicken Fische findet man nicht übers Arbeitsamt, nicht in der Berufsberatung. Dort findet man nur Mainstream. Unser Bildungssystem mitsamt den staatlichen Arbeitsmarktinstrumenten ist extrem langsam und rückwärtsgewandt. Die Topberufe der Zukunft kennt dort niemand, für die bildet niemand aus, für die wird niemand vermittelt. Dabei wird doch gerade in den Nischen, die nur wenige ausführen oder bedienen können, richtig Geld verdient. Das, was alle können, wurde schon immer schlechter honoriert als das, was nur wenige können. Das Spiel von Angebot und Nachfrage funktioniert immer, auch im Arbeitsmarkt, sofern nicht irgendjemand etwas »regulieren« muss. Mit wie vielen Berufen verdienen Menschen tagtäglich ihr Geld, die nicht in den Verzeichnissen der Agenturen stehen? In den Agenturen werden die Berufe nur verwaltet, wenn es diese schon längst gibt, jedoch nicht antizipiert. Ein Beruf muss ja schon fast langweilig sein, bis er anerkannt wird. Seit über 100 Jahren werden in Deutschland zum Beispiel Autos gebaut. Seit mindestens 90 Jahren brauchen wir Automobilverkäufer. Den zugehörigen Ausbildungsgang und das Berufsbild gibt es aber erst seit etwa 15 Jahren. Über 110 Jahre, nachdem sich Carl Benz am 29. Januar 1886 das Patent für das Automobil geben ließ. Wer hat da in den Jahren zuvor gepennt?
|140| Enthält das Abitur Prüfungen in Google-Recherche? In Zehn-Finger-Schreiben? In Tabellenkalkulation? Gibt es ein Schulfach Wirtschaft? Nein, natürlich nicht, das ist im humanistischen Bildungskonzept nicht vorgesehen, und man kann Wilhelm von Humboldt ja auch nicht vorwerfen, dass er schon vor 175 Jahren gestorben ist, als das Internet noch nicht erfunden und Wirtschaft eine Sache von Eliten war.
So quälend langsam geht das, so klaffend ist der Spalt zwischen der fiktiven Welt der Lehr- und Bildungspläne und der realen Welt da draußen mittlerweile.
Oder schauen Sie sich den Lehrerschweinezyklus an. Es ist schon fast zum Lachen. Es gibt kaum eine volkswirtschaftliche Zahl, die sich leichter berechnen lässt, als die Zahl der Schüler im Jahr heute plus X. Und trotzdem gibt es im schönen Wechsel mal zu viele und mal zu wenige Lehrer. Verlässliche Chancen bieten alle offiziellen Empfehlungen und Angebote jedenfalls ausgerechnet nicht. Das größte Risiko, das ein junger Mensch bei der Berufswahl eingehen kann, ist, den »sicheren« Weg zu wählen und das zu machen, was alle um ihn herum ihm raten zu tun – nämlich das, was alle anderen auch machen. Nehmen Sie meinen Beruf: Redner. Ich halte Vorträge auf Veranstaltungen und Kongressen. Einen Beruf, den Ihnen keine einzige Agentur für Arbeit vorschlagen wird, er ist fast vollkommen unbekannt, darum ist das Angebot so klein, insbesondere im Vergleich zur Nachfrage. Es gibt über 100 000 Veranstaltungen pro Jahr in Deutschland, bei denen Redner gesucht werden. Wenn ich so ins Gespräch komme mit einem Taxifahrer und er dann fragt, was ich beruflich so mache, dann antworte ich immer: Ich bin Redner, ich halte Vorträge. Darauf kommt in der Regel immer die Zusatzfrage: Kann man davon leben? Ja, man kann!
Der einzig sichere Weg ist, sich selbst zu animieren, auf sein Herz zu hören. Allerdings sollte man trotzdem nicht den Kopf abschalten. Ich kenne eine Frau, die hat im Buchmarkt gearbeitet. Das ist nicht gerade eine Branche, in der die Bäume in den Himmel wachsen, aber immerhin hat sie ihren Reiz. Sie hat sich jedoch entschieden, eines Tages, noch bevor sie alles erreicht hatte, die Pferde zu wechseln. Sie ging in die Lebensmittelbranche, um Ökoprodukte zu vermarkten. |141| Ausgerechnet! Diese Branche bietet eine der vergleichsweise schlechtesten Wertschöpfungsketten, niedrigste Margen. Teilweise unter 1 Prozent Umsatzrendite. Ein wirklich harter Job, bisweilen eine echte Quälerei, und das mit wenig Geld im Topf und in einer Zeit, in der jeder in
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