Glücksklee
sollte. Doch dann wurde ihr klar, dass Patricks Brummen als Verabschiedung gemeint war, und sie drehte sich um und verließ das Haus. O Mann, dachte sie, mein Vater war schon immer ein totaler Eigenbrötler. Doch gleich darauf wurde sie von einer Welle des Mitgefühls erfasst, weil ihre Mutter ihn verlassen hatte. So entschuldigte sie sich im Stillen bei ihm und schwor sich, nicht mehr daran zu denken. Sie hatte schließlich größere Probleme als ihren Vater.
Mit raschen Schritten folgte sie dem Fußweg am See entlang in Richtung Stadt. Sie hatte vergessen, wie gut sie Lakeview kannte, obwohl sie sich immer nur bemüht hatte, möglichst großen Abstand zu dem Provinznest zu gewinnen. Doch die Vertrautheit mit dem Städtchen schien tief in ihr verwurzelt zu sein.
Nina wanderte bis zum Ende des Uferpfades und weiter bis zu Ellas Café. Das kleine zweigeschossige Gebäude hatte eine beneidenswerte Lage, direkt am Seeufer, auf der Höhe, wo die Main Street begann. Bevor sie sich’s versah, stand sie vor dem Eingang und betrat das Café.
Ein vertrauter Duft von frischem Gebäck schlug ihr entgegen. Auch die Einrichtung hatte sich im Laufe der Jahre kaum verändert. Der Raum war immer noch so kuschelig und gemütlich, wie sie ihn in Erinnerung hatte, mit seinem Eichenparkett, den Wandborden voller Trockenblumen und ländlichem Krimskrams, darunter auch eine alte Singer-Nähmaschine, sowie dem Sammelsurium von Sitzgelegenheiten und Tischen.
Vor dem Eingang zur Küche befand sich eine lange Theke aus Granit, an der mehrere Gäste auf Hockern vor Kaffee und Frühstück saßen. Daneben stand eine Vitrine mit einer Auswahl der köstlichsten Backwaren, die man sich vorstellen konnte: Muffins, Doughnuts, Brownies, Möhrentorte und Windbeutel für die Schleckermäuler sowie Pasteten, Würstchen im Schlafrock und Baguettes für diejenigen, die lieber etwas Herzhaftes zu sich nahmen. Auf einer Tafel waren mit Kreide die diversen Möglichkeiten für das Frühstück aufgelistet, von Joghurt über Müsli und Bagels bis zum warmen irischen Frühstück, inklusive Blutwurst aus der Region.
Obwohl Nina bei ihrem Aufbruch von zu Hause nicht besonders hungrig gewesen war, bekam sie jetzt, als ihr der Duft von Ellas berühmter Kochkunst in die Nase stieg, einen ungeheuren Appetit. Erwartungsvoll schaute sie sich im Raum um. Ob sie wohl trotz der Veränderungen, die die Jahre mit sich brachten, irgendein Gesicht wiedererkennen würde?
Sie ließ den Blick wandern und dann auf dem einzigen Menschen ruhen, den sie überall wiedererkannt hätte: auf Ella, der Besitzerin. Nina beobachtete, wie die ältere Frau von einem Tisch zum anderen eilte, die Tischplatten abwischte, Kaffee nachschenkte und für jeden ein freundliches Wort hatte. Es war wohl kein Zufall, dass Nina ausgerechnet hier gelandet war – Ella war eine so liebenswürdige Frau, eine so herzensgute Seele, dass Nina sich schon als Teenager in diesem Café oft heimischer gefühlt hatte als im Haus ihres Vaters.
Ella musste gespürt haben, dass Nina ihr zuschaute, denn plötzlich blickte sie auf. Sie musterte ihren neuen Gast einen Moment lang, dann fiel bei ihr der Groschen. Sofort stellte sie die Kaffeekanne ab und stürzte auf Nina zu. Bevor diese sich vom Fleck rühren konnte, schloss Ella sie schon in die Arme.
«Nina, Herzchen, wie herrlich, dich zu sehen. Ich muss zugeben, ich war mir erst nicht sicher – du bist so erwachsen geworden. Aber dann sah ich deine grünen Augen, und daran würde ich dich überall erkennen!», rief Ella. «Seit wann bist du denn zu Hause? Ist deine Mutter auch hier? Mein Gott, ich habe euch beide schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen!»
«Nein, ich bin allein – nur zu einem kurzen Besuch», erwiderte Nina schnell. Dabei wunderte sie sich über ihr Bedürfnis, im Dunkeln zu lassen, wie lange sie in Lakeview bleiben würde.
Als Ella sie prüfend anschaute, wandte Nina den Blick ab. Sie befürchtete, dass Ella ihre Gedanken lesen und ihre Geheimnisse erraten könnte.
«Wie geht es dir denn, mein Schatz?», erkundigte Ella sich. «Du bist ein bisschen blass, und du hast auch stark abgenommen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe – ich hoffe, du machst nicht irgend so eine alberne Diät.»
«Nein, nein. Im Gegenteil, ich bin richtig hungrig.»
«Aber natürlich! Komm, setz dich hier an die Theke. Ich mache dir Frühstück, und dabei kannst du mir erzählen, was du alles gemacht hast, seit du das letzte Mal hier warst.»
Es
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