Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
mir, einen Triathleten mit kräftigen Oberschenkeln. Und
ein Stück vor diesem wiederum einen aus der Fahrradstaffel, der den Triumphator
per Trillerpfeife ankündigte. Die letzte steile Kurve.
In diesem
Moment kam etwas aus einer Seitenstraße angeschossen und bog ein paar Schritte vor
dem Triathleten auf die Straße. Der stieß einen Schrei der Verblüffung aus.
Es war Brose.
Schnell wie nie.
»Ey, der
betrügt!«, rief der Triathlet. »Der kürzt ab!«
Brose rannte
vor ihm her. Es ging in die Kurve, die durch eine Baustelle verengt war. Brose warf
einen Blick zurück. Er sah seinen Verfolger, der wütend die Faust schüttelte – und
er sah mich, auf dem Fahrrad, in rasender Fahrt.
Was er nicht
sah, war die Katze, die in derselben Sekunde über die Straße flitzte.
Als Brose
wieder nach vorn blickte, war es zu spät. Er trat auf die Katze, kam ins Stolpern,
konnte sich nicht halten und stürzte Kopf voran durch die Absperrung in die Baugrube.
Nicht einmal
seine Beine schauten noch heraus.
»Verdammte
Scheiße!«, schrie der Führende – der er jetzt ja wieder war.
Gemeinsam
mit ihm erreichte ich die Baugrube. Zwei Meter unter uns lag Brose. Keine Ahnung,
wie seine Glieder es geschafft hatten, diese Art von Stellung einzunehmen. Das bekam
nicht mal eine Marionette hin.
Und kein
Arzt der Welt würde Ben Brose jemals wieder hinbekommen.
»Ich glaub’s
nicht«, stöhnte der Triathlet. »Was macht der für einen Scheiß?«
Hinter uns
Schritte. Der Zweitplatzierte näherte sich mit seinem Radbegleiter. Aus dem Augenwinkel
sah ich die Katze um eine Häuserecke humpeln. Ihr Fell hatte eine braune Färbung.
Genau wie
das Nanuschkas.
»Warum guckt
der nicht nach vorn?«, zeterte der Halbmarathon-Sieger schweißnass. »Ich hab dem
nur kurz was zugerufen. Wirklich, nur kurz!«
»Du kannst
nichts dafür«, sagte ich. »Er hat die Katze in dem Spiel nicht mit einberechnet.
Das war sein Fehler. Der Zufall hat eben mehr als sechs Seiten.«
Das verstanden
sie natürlich nicht, die Sportskanonen, aber es war auch egal.
»Lauft zusammen
ins Ziel«, schlug ich ihnen vor. »Die Platzierungen standen ja fest. Nehmt den Dritten
noch mit und verzichtet auf Jubelorgien. Wäre meine Empfehlung. Aber ihr könnt es
auch ganz anders handhaben.«
Der Triathlet
starrte mich mit leerem Blick an. Sein Konkurrent gab ihm einen Schulterklaps und
drängte ihn auf die Strecke zurück. Von der Hauptstraße schwappte eine Jubelwelle
zu uns herüber. Da musste der Führungsradler mit der Pfeife eben die Zuschauermassen
erreicht haben. Schweigend tappten die Läufer davon, der Radfahrer folgte ihnen.
Gleich darauf kam der im roten Trikot angeschlappt und schloss sich ihnen an.
Dann erschien
Katinka.
Ich tat,
als hätte ich ohne speziellen Grund auf sie gewartet, schwang mich auf mein Rad
und wollte losfahren. Aber sie sah natürlich die durchbrochene Absperrung, und wahrscheinlich
sah sie in meinen Augen, was ich gesehen hatte.
Sogar Grothe
schwieg, als wir gemeinsam in die Baugrube blickten. Katinkas Brustkorb hob und
senkte sich heftig, Hals und Nacken glänzten feucht. An den Rändern ihres Gesichts
hatten sich Salzkrusten gebildet. Mit einer Hand wischte sie sich etwas aus dem
Auge. Grothe kratzte sich am Kopf.
Ein Geräusch
über uns ließ mich aufsehen. Aus einem offenen Fenster glotzte jemand auf uns herab.
Eine Gruppe von Touristen kam schnatternd um die Ecke, Zuschauer machten sich neugierig
auf den Weg zu uns.
Wieder die
Jubelwelle aus der Hauptstraße. Auf dem Uniplatz wartete der Veranstaltungsleiter
gespannt darauf, wessen Namen er als Erstes ausrufen durfte.
Katinka
aber begann, die Sicherheitsnadeln ihrer Startnummer zu öffnen. Als sie fertig war,
knüllte sie die Nummer zusammen und warf sie in die Baugrube.
42,195
»Stark, die Mädels«, sagte ich.
»Zumindest Kim und Birthe.«
Christine
nickte.
»Sehr stark«,
sagte Katinka. »Bei den Bedingungen, überlegt mal!«
»Wie wär’s
mit einem Whisky?«, fragte ihr Mann. »Damit wir auf unser Olympiateam anstoßen können.«
Allgemeiner
Protest erhob sich. Um diese Uhrzeit! Whisky! Außerdem, sooo stark waren die Leistungen
der Deutschen auch wieder nicht.
»Einen Schluck
würde ich nehmen«, sagte ich. »Ein Schlückchen.«
Heiner griff
nach der Bunnahabhain-Flasche. »Schade, dass die Kleine aus Leverkusen aufgegeben
hat.«
»Nächstes
Mal hält sie durch«, meinte Katinka. »Sie ist noch jung. Aber Kim – das war
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