Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Schließlich geht es weniger um Leute wie Eichelscheid
und Harboth als um eine junge Frau, die ihren Beruf ausüben will. Oder sehen Sie
das anders?«
»Nein, natürlich
nicht. Insofern bin ich sogar«, er räusperte sich mehrfach, als stecke ihm das folgende
Wort in der Kehle fest, »ja, ich bin froh, dass Sie ermitteln. Dem Mädel darf nichts
passieren, da sind wir einer Meinung.«
»Schön.
Dann verraten Sie mir doch einfach, ganz ohne Dienstwegkomplikationen, wer Ihrer
Meinung nach hinter der Drohung gegen Katinka Glück steckt. Verzeihung: hinter der
Aufforderung zum Startverzicht.«
»Wie soll
ich das wissen? In diesen Sportlercliquen kenne ich mich nicht aus. Wird schon eine
ihrer Konkurrentinnen gewesen sein.«
»Die mal
eben ein paar Tausender für einen Pauschalurlaub auf den Seychellen lockermacht?«
»Wie gesagt:
Da fragen Sie den Falschen. Aber im Spitzensport werden doch ganz hübsche Sümmchen
verdient, oder nicht?«
»Ich werde
mich erkundigen.«
So endete
unser Gespräch. Ich überlegte mir, wie Katinka wohl reagieren würde, wenn ich sie
nach ihren Einkünften fragte. Doch das musste ich vermutlich gar nicht, denn im
Internet fanden sich Informationen genug. Nach einer halben Stunde des Klickens,
Lesens und Überfliegens fügten sich die Puzzleteile zu einem Bild. Wenn in der bundesdeutschen
Gesellschaft die Schere zwischen Arm und Reich immer stärker auseinanderklaffte,
dann war der Sport nicht nur das Spiegelbild dieser Gesellschaft, sondern deren
groteske Verzerrung. Einen Mindestlohn gab es natürlich nicht. Es gab Hungerlöhne,
Pseudolöhne, gar keine Löhne, es gab Berufsunfähige, Arbeitslose und illegal Beschäftigte.
Ich fand die Story eines amerikanischen Olympiasiegers, der mittlerweile ganz kleine
Brötchen buk: Er jobbte in einer Großbäckerei. Auf der anderen Seite des Scherenarms
tummelten sich die Millionarios aus Fußball, Tennis und Golf, deren Gehälter in
Wochenraten ausgezahlt wurden, weil die Summen sonst auf keinen Überweisungsvordruck
passten. Oder Helden wie unser weltmeisterlicher Asphaltcowboy aus Heppenheim, der
samt seinen Preisgeldern ohne Boxenstopp in die Steueroase Schweiz gerauscht war.
Unter dem Jubel euphorisierter Hartz IV-Empfänger.
Auch in
der Laufszene gab es den einen oder anderen Großverdiener. Bei den großen deutschen
Citymarathons sahnten die Sieger, nach Endzeiten gestaffelt, fünf- bis sechsstellige
Eurobeträge ab. Die Zweitplatzierten schon deutlich weniger, und genau das war das
Problem. Du musstest nicht nur die 20.000 bunt gekleideten Hobbyjogger hinter dir
lassen, sondern auch das 20 oder 40 Köpfe starke Feld der Profis, die genauso stark
waren wie du. Beziehungsweise stärker, falls du einen schlechten Tag erwischt hattest.
Oder kurz vorm Ziel umknicktest. Oder die Konkurrenz wirksamere Pillen geschluckt
hatte. Fußballer konnten ihren Hattrick auf den nächsten Sonntag verschieben, Tennisstars
eilten von Turnier zu Turnier, aber Marathonläufer hatten nur zwei bis drei realistische
Chancen im Jahr. Traten sie öfter an, waren sie mit Ende 20 ausgebrannt.
Und Katinka?
Von der Weltspitze – und das hieß gleichzeitig: von den großen Geldtöpfen – war
sie eine halbe Ewigkeit entfernt. Zehn Minuten, um exakt zu sein. Lief sie ins Marathonziel
ein, hatten die besten Kenianerinnen schon geduscht und frischen Lippenstift aufgetragen.
Und dazwischen lagen weitere Afrikanerinnen, Mädels aus Japan, China, Russland,
den USA, Portugal, Rumänien, Australien, Spanien. Für den Sieg bei den World Marathon
Majors, einem Zusammenschluss der fünf führenden Marathonveranstalter, wurde ohne
Federlesens eine halbe Million Dollar ausgeschüttet. Platz 2 ging leer aus.
Und Katinka
war nicht einmal unter den besten 50 der Welt.
Aber zurück
zu der Frage, wer von ihrem Verzicht profitieren könnte. Bei den Olympischen Spielen
verdienten sich die erfolgreichen Sportler einen Lorbeerkranz, aber keine goldene
Nase. Die Siegprämien waren mehr als bescheiden – ein Grund, warum vor allem im
Marathon regelmäßig die Weltelite fehlte. Um Geld ging es also nicht. Worum dann?
Nun, man konnte es wenden, wie man wollte: um die gute, alte Ehre. »Olympische Spiele
sind nur alle vier Jahre« – »Olympiasieger bist du fürs ganze Leben«: Solche Sprüche
zogen sich wie ein Mantra durch die Athletenkommentare. Ein erfolgreicher deutscher
Werfer wurde mit dem Satz zitiert, für einen Olympiasieg gäbe er all seine Weltmeistertitel
her. Auch für Katinka
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