Gluehende Dunkelheit
was hatte sie sich auch dabei gedacht, einen Italiener zu heiraten? Nun ja, sie war noch jung gewesen und Alessandro Tarabotti so überaus gut aussehend. Doch da war noch etwas anderes an Alexia. Etwas … abstoßend Unabhängiges, das Mrs Loontwill nicht gänzlich ihrem ersten Ehemann zur Last legen konnte. Und natürlich weigerte sie sich, die Schuld bei sich selbst zu suchen.
Was es auch war, Alexia war so geboren worden, voller Logik und Vernunft und scharfer Worte. Nicht zum ersten Mal bedauerte es Mrs Loontwill, dass ihre älteste Tochter kein Junge war. Das hätte das Leben für sie alle so viel einfacher gemacht.
Unter normalen Umständen waren Spaziergänge im Hydepark genau das, was eine alleinstehende junge Dame aus gutem Hause nicht ohne ihre Mama und möglicherweise ein oder zwei weitere ältere weibliche Verwandte tun sollte. Miss Tarabotti war der Ansicht, dass solche Verhaltensregeln nicht ganz auf sie zutrafen, da sie ja als alte Jungfer galt. Und das schon, solange sie denken konnte. In etwas bitteren Momenten hatte sie das Gefühl, schon als alte Jungfer geboren worden zu sein.
Mrs Loontwill hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht, ihre älteste Tochter in die Gesellschaft einzuführen. »Wirklich, mein Liebling«, hatte Alexias Mutter damals in einem Tonfall tiefster Herablassung gesagt, »mit so einer Nase und diesem Teint hat es einfach keinen Sinn, dass wir darin investieren. Ich muss schließlich auch an deine Schwestern denken.«
Also war Alexia, deren Nase in Wirklichkeit gar nicht so groß und deren Haut auch gar nicht so dunkel war, im Alter von fünfzehn Jahren zur alten Jungfer erklärt worden. Nicht dass sie sich tatsächlich je nach der Bürde eines Ehemanns gesehnt hatte, doch es wäre schön gewesen, zu wissen, dass sie einen hätte haben können, sollte sie ihre Meinung je ändern. Alexia liebte es zu tanzen, deshalb hätte sie gern zumindest an einem einzigen Ball als verfügbare junge Dame teilgenommen, anstatt sich am Ende stets in einer Bibliothek zu verstecken. Mittlerweile nahm sie an Bällen nur noch als Anstandsdame ihrer Schwestern teil, und Bibliotheken gab es im Überfluss.
Doch das Dasein einer alten Jungfer bedeutete auch, dass sie ohne ihre Mama im Hydepark spazieren gehen konnte, und nur die schlimmsten Moralverfechter konnten daran etwas auszusetzen haben. Zum Glück kannten diese, genauso wie die Mitarbeiter der Morning Post , Miss Alexia Tarabottis Namen nicht.
Da ihr aber Lord Maccons schroffe Vorhaltungen noch in den Ohren klangen, hatte Alexia das Gefühl, nicht völlig ohne Begleitung spazieren gehen zu können, selbst wenn es mitten am Vormittag war und die übernatürlichenfeindliche Sonne ziemlich strahlend vom Himmel schien. Also nahm sie ihren treuen Messingschirm mit, wegen der Sonne, und Miss Ivy Hisselpenny, Lord Maccons äußerst empfindlichen Zartgefühls willen.
Miss Ivy Hisselpenny war eine liebe Freundin von Miss Alexia Tarabotti. Sie kannten sich lange genug, um sich in alle Winkel des gut geschützten Terrains der Vertrautheit vorzuwagen.
Als Alexia also Ivy eine Nachricht zukommen ließ, um zu fragen, ob sie einen Spaziergang unternehmen wollte, war sich Ivy sehr wohl der Tatsache bewusst, dass das nur ein oberflächlicher Deckmantel der Geschehnisse war.
Ivy Hisselpenny war das unglückliche Opfer jener Umstände, dass sie nur beinahe hübsch und nur beinahe wohlhabend war und dazu neigte, äußerst alberne Hüte zu tragen. Letzteres war die Facette von Ivys Charakter, die Alexia am schwersten zu ertragen fand. Normalerweise hielt sie Ivy allerdings für eine erholsame, wesensverwandte und – was am wichtigsten war – bereitwillige Gesellschaft bei jedem Ausflug.
Ivy hingegen hielt Alexia für eine Dame mit Verstand und Intelligenz, die zwar manchmal zu direkt für ihr eigenes empfindsames Gemüt, dafür aber loyal und liebenswürdig war. Sie hatte gelernt, Alexias Unverblümtheit unterhaltsam zu finden, und Alexia hatte gelernt, dass man die Hüte einer Freundin nicht immer ansehen musste. Da beide schon in den Anfängen ihrer Bekanntschaft über die anstrengendsten Charakterzüge der anderen hinwegsahen, hatte sich zwischen den Mädchen eine feste Freundschaft zu ihrem gegenseitigen Nutzen entwickelt.
Ihre Unterhaltung im Hydepark spiegelte die typische Art der Kommunikation zwischen ihnen wider.
»Ivy, meine Liebe«, sagte Miss Tarabotti, als ihre Freundin geschäftig herbeieilte. »Wie wunderbar von dir, so kurzfristig
Weitere Kostenlose Bücher