Glutopfer. Thriller
zulassen, dass die Angst uns daran hindert, zu leben.«
Er nickt, und sie weiß, dass er versteht.
»Von der Geburt an bis zum Alter von neununddreißig erkrankt eine von zweihunderteinunddreißig Frauen an Brustkrebs«, sagt sie. »Zwischen vierzig und neunundfünfzig ist es schon eine von fünfundzwanzig.«
Er nickt wieder und hört ihr aufmerksam zu.
»Ich werde in ein paar Monaten vierzig«, sagt sie. »Bei meiner familiären Vorgeschichte werde ich diese eine von fünfundzwanzig sein, also habe ich mich kürzlich einer beidseitigen Mastektomie unterzogen. Ich habe nicht nur keine Brüste, ich habe gar kein Gefühl an der Brust. Da sind Narben – ich glaube, in Wahrheit hat sich Stan aus diesem Grund von mir getrennt.«
Sie sucht etwas in seinem Gesicht.
»Wenn du jetzt gehst«, sagt sie, »dann kann ich das verstehen. Wirklich. Zum Teufel, ich sehe mich schließlich selbst täglich im Spiegel und fange gerade erst an, mich daran zu gewöhnen. Ich würde es dir nicht verübeln. Wirklich nicht. Ich habe vor, wiederherstellende Operationen machen zu lassen, aber das ist noch nicht passiert, also –«
»Lass das Licht an«, sagt er.
Er tritt auf sie zu, greift mit beiden Händen nach dem Laken und zieht sanft daran. Sie lässt los, und es fällt zu Boden.
Er betrachtet ihre Narben, zieht die Schwellungen des Gewebes mit der Fingerspitze nach.
Wieder sucht sie etwas in seinem Gesicht, diesmal ein Zeichen von Abscheu, und sei es noch so klein, doch dann lächelt sie und seufzt erleichtert, denn sie sieht nur Verlangen.
»Du bist so schön, dass ich kaum atmen kann«, sagt er.
Tränen brennen in ihren Augen.
»Es macht dir nichts aus?«
Stan wollte sie nach der Operation nicht berühren, behauptete, sie müsse erst gesund werden, trennte sich aber vorher von ihr. Er brachte es nicht einmal über sich, sie anzusehen.
»Ganz im Gegenteil«, sagt er. »Diese Wunden erzählen von deiner Tapferkeit, deiner Kraft und deiner Entschlossenheit, um dein Leben zu kämpfen. Ihretwegen liebe ich dich umso mehr.«
Liebe? Hat er gerade Liebe gesagt?
Daniel lässt den Blick über ihren Körper streifen. Er ist eine Ballade von Schönheit und Schmerz, von Kraft und Zerbrechlichkeit, und er will den Rest seines Lebens damit verbringen, ihn zu erkunden. Er empfindet nichts als Verlangen. Davon muss er sie überzeugen.
»Deine Narben machen dich aus«, sagt er. »Wie mich die meinen. Von allen Körpern auf der Welt ist es deiner, den ich lieben will.«
Er zieht sie an sich, drückt ihre Brust an seine, küsst ihren Mund, während seine Hände ihren Körper liebkosen.
»Oh Gott«, sagt sie, als seine Finger die Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen finden.
Sie verweilen dort.
»Es könnte aus anderen Gründen trotzdem ein Fehler sein«, flüstert sie.
»Ich weiß.«
Sie zieht seine Laufshorts herunter und nimmt ihn in die Hand.
Es ist so lange her, dass er fast vergessen hat, wie gut sich das anfühlt, wie sehr er es braucht, dass eine Frau ihn berührt – doch nicht mehr irgendeine Frau. Diese Frau.
»Es ist zu früh. Ich habe mich gerade erst von meinem Freund getrennt.«
»Ich weiß.«
Er streift seine Shorts ab, die inzwischen auf dem Boden liegen, nimmt Sam auf die Arme und trägt sie zum Bett.
»Wir sollten warten«, sagt sie.
»Ja, sollten wir«, sagt er und gleitet in sie hinein.
Am nächsten Morgen erwachen beide auf dem Balkon durch das Geschrei der Möwen, ihre nackten Körper sind in dasselbe Laken gehüllt wie ihrer in der Nacht zuvor.
Sie liegen aneinandergeschmiegt auf der Seite, Sam vorn in seinen Armen, während er sie an sich zieht.
Als sie sich regt, spürt sie, dass sein Körper sofort reagiert.
»Guten Morgen«, sagt er.
»Morgen.«
»Ist es zu früh, wenn ich dich frage, ob du mich heiraten willst?«
Sie lächelt, und eine Wärme breitet sich in ihr aus, die sie noch gar nicht kennt.
»Ein bisschen, ja.«
Es ist natürlich absolut lächerlich, aber es ist lieb, und es gibt ihr ein gutes Gefühl.
»Sagst du mir Bescheid, wenn genügend Zeit vergangen ist?«
»Klar«, sagt sie, »aber ich bezweifle, dass du dann noch willst.«
42
Als Sam Mandys Krankenhauszimmer betritt, wundert sie sich, dass das Mädchen allein ist.
»Wo sind Ihre Eltern?«
Sie zuckt mit den Schultern.
»Holen wahrscheinlich was zu essen oder so.«
Sie richtet sich auf, aber mit großer Mühe.
Zorn wallt in Sam auf, als sie an die erdrückende Kleinstadtverzweiflung denkt, die sie so oft gesehen hat,
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