Gnadenfrist
sah aus den Augenwinkeln, wie Helena über das traurige Schicksal des Kindes nachdachte. Wir waren kurz davor, ihm selbst ein Heim zu geben.
Lautes Getöse rettete mich. Der nutzlose Pförtner hatte einen Betrunkenen ins Haus gelassen. Einen großen, gutaussehenden jungen Mann, der ins Eßzimmer stolperte und unterwegs gegen einen Beistelltisch krachte: Quintus Camillus Justinus war schließlich doch noch aufgetaucht.
Im Lampenlicht blinzelnd, beugte er sich herab und wollte seine Mutter küssen; kein guter Einfall. Dann kitzelte er Helena an der Fußsohle, worauf sie wild um sich trat. Sie versetzte Aelianus einen häßlichen Tritt gegen das Ohr, als der sich aufrichtete, um etwas Beleidigendes zu sagen. Mit der extremen Sorgfalt des alles andere als Nüchternen baute Justinus zwei Päckchen vor seiner Schwester auf, machte dann plötzlich einen Satz nach vorn und küßte auch sie. Helena schubste ihn weg.
Ohne sich der eisigen Atmosphäre bewußt zu sein, kam Justinus schwankend wie ein Seiltänzer wieder hoch, stolperte dann an den Liegen entlang und ließ sich auf die leere neben mir fallen. Ich spannte die Rückenmuskeln an, als er mir auf die Schulter klopfte. »Marcus! Na, hast du das Fest bisher gut überstanden?« Ihm war nicht mehr zu helfen.
Ich machte beruhigende Geräusche, während Helena mir heftig bedeutete, ich solle ihm etwas zu essen geben. Da ich es war, den er vollkotzen würde, hatte ich ein Interesse daran, seine Nahrungsaufnahme zu begrenzen.
»Entschuldigt, ich bin ein bißchen beschwipst. Ich war in den Saepta auf der Suche nach einem Geschenk.«
Mein Herz sackte noch tiefer. »Wo in den Saepta?« Ich hatte bereits eine Ahnung, warum der junge Justinus heute abend so spät kam und so betrunken war.
»Ach, du weißt schon, Falco! Ich wanderte herum, dann sah ich einen Namen, der mir bekannt vorkam, und wir kamen ins Gespräch … Ein wunderbarer Auktionator«, erklärte Justinus seinem Bruder. Aelianus grinste; der Sohn, dessen Sünden noch unentdeckt waren, sah zu, wie der verderbte lärmend versank. Ich verdaute die unheilverkündende Nachricht, daß mein nicht so wundervoller Papa den Goldjungen abgefüllt hatte.
Helena unterbrach mit aufgesetzter Fröhlichkeit: »Wir haben dich vermißt! Ist das mein Geschenk?«
»Das kleinere«, meinte Justinus, um eine deutliche Aussprache bemüht. »Eine Kleinigkeit von deinem dir treu ergebenen Bruder.«
»Tausend Dank.«
»Das größere, schwerere Teil schickt dir mit besten Wünschen mein wunderbarer Freund Didius Geminus.«
»Ist das«, höhnte Aelianus, »der Mann, der dir so viel Wein eingeflößt hat?«
»Mein Vater«, schnappte ich. Julia Justa erstarrte. Lahm fuhr ich fort: »Didius Geminus hat seine Kunden gern in geschwächtem Zustand. Ich rate Ihnen, Aelianus, nicht mit einem Auktionator zu trinken. Wie Sie sehen, sollte Ihr Bruder sich dringend hinlegen – und nur die Götter wissen, wieviel er ausgegeben hat!«
»Hielt sich in annehmbaren Grenzen«, blubberte Justinus fröhlich. Wenigstens hatte er meinen Rat angenommen und sich hingelegt. Leider in den Nachtisch.
Wir ließen ihn, wo er war. Es schien das beste.
Helena versuchte, fröhlich auszusehen, während sie das Geschenk ihres Bruders auspackte. Es war ein wunderschöner Spiegel, im keltischen Stil mit verschlungenen und verschnörkelten Blättergirlanden verziert. Um den Zustand ihres jüngeren Bruders zu vergessen, betrachtete sie ausführlich ihr Gesicht darin.
»Und dein Vater hat Helena ebenfalls ein Geschenk geschickt, Marcus!« Der Gedanke, daß die Didius-Familie wußte, wie man Möchtegernverwandte bestach, hatte Julia Justa mächtig aufgemuntert. Gehorsam wickelte Helena es aus.
»Mein Vater hält viel von Helena«, sagte ich schwach.
Das war nicht zu übersehen. Papa hatte ihr einen äußerst eleganten (und bestimmt sündhaft teuren) Schmuckkasten geschickt. Nicht zu groß – nichts Protziges –, aber ein wunderschönes Exemplar aus Zedernholz. Die Ecken wiesen kunstvolle Bronzebeschläge auf, das Ganze stand auf kleinen Füßchen, hatte einen hübschen Riegel und ein perfektes Schloß mit geschwungener Umrahmung.
»Ach, der Liebe!« Ach, der Dreckskerl. Er hatte meine eigene Zwangslage völlig ignoriert. Nicht mal ein Wort der Entschuldigung.
Der Augenblick für einen Trinkspruch schien gekommen. Wein wurde von den Sklaven eingeschenkt, die sich die Hälse verrenkten, um die Geschenke der jungen Dame zu bestaunen. Diverse Haarnadeldöschen und
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