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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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schenken.
    Ein unachtsames Mädchen kam lachend aus einer Toreinfahrt, stieß schmerzhaft mit mir zusammen und ließ mich hastig nach meiner Börse greifen, für den Fall, daß dies ein Diebstahlsversuch war. Ich brüllte sie an. Sie hob drohend die Faust. Ein Mann auf einem Esel drückte mich mit seinen Sattelkörben voller Unkraut gegen eine Säule, von der Bündel glotzäugiger Terrakottagöttinnen in Trauben herabhingen. Ein Bettler setzte lange genug mit dem Blasen seiner schrillen Doppelpfeife aus, um schadenfroh zu kichern, als mir der tönerne kleine Rock einer rot und weiß bemalten Minerva voll gegen die Nase knallte. Zumindest hatte mich das plötzliche Zurückdrängen davor bewahrt, den Inhalt eines Nachttopfes auf den Kopf zu kriegen, der gerade in diesem Moment aus einer der dunklen Wohnungen über uns auf die Straße ausgeleert wurde.
    In Rom herrschte der Irrsinn.
    Als ich die Brunnenpromenade erreichte, kam mir der vertraute Geruch nach fauligem Plattfisch, Abwasser, Rauch, Hühnerdreck und schalen Amphoren geradezu zivilisiert vor. In der Bäckerei zündete Cassius gerade eine Lampe an, schneuzte sorgsam den Docht und ordnete die Kettenglieder, an der sie hing. Ich begrüßte ihn und ging dann weiter zu Ennianus, dem Korbflechter, der den Laden unter unserer neuen Wohnung hatte. Er hatte dafür gesorgt, daß der Müllkarren abgeholt wurde. Ich lieh mir einen Besen von ihm aus und fegte ein paar Überreste den Rinnstein hinauf vor ein Haus, dessen Bewohner nie mit uns sprachen.
    Während ich noch mit Ennianus plauderte, sah ich Lenia vor der Wäscherei Tuniken von einer Leine abnehmen. Rasch kehrte ich ihr den Rücken zu, um nicht wieder in eine langweilige Diskussion über die jetzt nur noch zehn Tage entfernte Hochzeit verwickelt zu werden. Sie schien mich nicht gesehen zu haben; ihre Augen waren nie sehr gut gewesen. Entweder das, oder sie hatte endlich alle Hoffnung auf mein Mitgefühl aufgegeben. Ich war zu ausgelaugt, um Sympathie für Menschen aufzubringen, die es hätten besser wissen sollen, statt sich Ärger aufzuladen. Davon gab es auch so schon genug in Rom.
    Aber es sollte noch schlimmer kommen. Als Ennianus mir grinsend mitteilte, die Gefahr sei vorüber, und ich könne mich wieder umdrehen, sah ich zwei Männer am Friseurladen vorbeigehen. Sie kamen mir bekannt vor, obwohl ich nicht recht wußte, woher.
    »Wer sind die beiden, Ennianus?«
    »Die hab ich hier noch nie gesehen.«
    Ich spürte, daß ich mit ihnen noch ein Hühnchen zu rupfen hatte. Also brach ich mein Geplauder mit dem Korbflechter ab und folgte ihnen verstohlen.
     
    Während ich unauffällig hinter ihnen herschlich, versuchte ich, möglichst viel über sie rauszukriegen. Die beiden hatten nichts in der Hand, wirkten von hinten eigentlich völlig normal, waren etwa gleich groß und ähnlich gebaut. Sie trugen braune, ärmellose Tuniken, gegürtet mit einem alten Strick oder so was, dazu einfache Stiefel und weder Hut noch Umhang. Offenbar verbrachten sie ihre Zeit überwiegend im Freien.
    Die Männer machten große Schritte, waren aber nicht in Eile. Es waren keine Müßiggänger, die sich einen netten Abend in der Stadt machen wollten. Sie hatten ein festes Ziel, schienen sich aber verlaufen zu haben. Sie führten mich über die Kuppe des Aventin, merkten dann aber, daß sie hier nicht weiterkamen und den Hügel hinab mußten. Die beiden kannten sich in Rom nicht aus – oder zumindest nicht hier auf dem Aventin.
    Schließlich erreichten sie den Clivus Publicus. Sie gingen weiter hügelabwärts am Tempel der Ceres vorbei und mußten sich, als sie das Tal beim Circus Maximus erreichten, an einem Straßenstand etwas zu trinken kaufen, um den Besitzer nach dem Weg zu fragen. Daraufhin gingen sie Richtung Circus und dann an ihm entlang; sie hätten auf dem Hügel die andere Richtung einschlagen sollen, zu den Zwillingsaquädukten und der Porta Capena.
    Wir befanden uns in einer Gegend, um die meine Gedanken in den letzten paar Tagen ständig gekreist hatten: der Teil des Elften Bezirks, der an den Circus grenzte. Am einen Ende lag das Forum Boarium, wo wir umgeben vom Gestank nach toten Tieren die Leiche von Nonnius Albins gefunden hatten. Entlang des Circustales verlief das schmale Stück Land, auf dem die luxuriösen Villen von Flaccida und Milvia standen. Am anderen Ende verbarg sich »Platons Akademie« in einem Gewirr schmuddeliger, anrüchiger Gäßchen.
    Als wir so weit gekommen waren, wunderte es mich nicht mehr,

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