Gnadenfrist
daß meine beiden auf dem Weg ins Bordell sein sollten. Inzwischen war ich auch sicher, daß sie Schurken waren. Ich konnte es beweisen: Mir war eingefallen, woher ich sie kannte. Aus Rom jedenfalls nicht. Ihre Namen – zumindest die, unter denen sie arbeiteten – waren Gaius und Phlosis. Die beiden angeblichen Bootsbesitzer aus Ostia, die mir das Glas meines Vaters zu klauen versucht hatten, bevor ich es nach Rom brachte und Papa die noch größere Gaunerei begehen konnte, es sich selbst zu stehlen.
Ich sah sie das Bordell betreten und das Mädchen an der Tür begrüßen, als seien sie alte Bekannte. Sie mochten Kunden sein, zu Besuch in Rom, denen »Platons Akademie« von einem Freund empfohlen worden war. Das war mein erster Eindruck, bis mir aufging, daß das Mädchen sie ohne den üblichen Obolus eingelassen hatte.
Lalage hatte zweifellos Kunden, die monatlich bei ihr abrechneten. Männer, die derart bevorzugt wurden, würden allerdings keine zwielichtigen Hafenarbeiter sein, sondern vertrauenswürdige Menschen wie der Valde Interest Patricius , der VIP, der immer mit seinen Liktoren im Schlepptau kam. Gaius und Phlosis waren aus einem ganz anderen Grund hier. Und aus der freundlichen Haltung der Empfangsdame zu schließen zählte das unfähige Paar, auch wenn es sich auf dem Aventin verlaufen hatte, hier unten in »Platons Akademie« zu den regelmäßigen Besuchern.
Ich überlegte, ob ich ihnen folgen sollte. Eigentlich war ich heute abend nicht in der richtigen Verfassung für weitere Abenteuer. Ich war müde. Es war eine hektische Woche gewesen, voll schlimmer Ereignisse, und ich spürte, daß meine Konzentration nachließ. Außerdem war »Platons Akademie« das reinste Labyrinth; niemand wußte, daß ich heute abend hierhergekommen war, und wenn ich reinging, war ungewiß, was ich drin vorfinden würde.
Die Situation war viel zu gefährlich. Und so ließ ich diesmal die Vernunft siegen.
LVI
Ich brauchte Hilfe. Ich brauchte jemanden, der sich wehren konnte, falls es Ärger gab, jemand, der eine Überwachung vernünftig durchführen konnte. Sollte sich meine Ahnung als korrekt erweisen, dann war ich hier über etwas Größeres gestolpert. Es konnte äußerst riskant werden. Die Situation schrie nach den Vigiles. Normalerweise hätte ich damit zu Petronius Longus gehen müssen. Doch das war ja leider unmöglich.
Ich konnte mich an Rubella wenden. Stolz – Stolz und die Tatsache, daß ich, falls ich mich irrte, nur zwei jämmerlichen Möchtegerndieben dabei zuschaute, wie sie sich im Bordell amüsierten – brachte mich dazu, die Sache inoffiziell weiterzuverfolgen.
Es gab ein paar praktische Probleme. Ich brauchte einen Partner. Ich wollte das Bordell rund um die Uhr bewachen lassen, außerdem, falls nötig, einige der Besucher beschatten. Ob ich wohl das Risiko eingehen konnte, einen meiner Neffen einzusetzen? Nein, das ging nicht, denn solange Tertulla verschwunden war, wurden alle jungen Didii in Gruppen zur Schule gebracht und von ängstlichen Müttern überwacht. Es gab keine Möglichkeit, einen von ihnen abzuzweigen, ohne einen Riesenkrach zu riskieren. Außerdem wußte ich selbst, daß diese Arbeit zu gefährlich war.
Immer noch verzweifelt, sah ich der Tatsache ins Auge, daß, wenn Petronius mir seine Hilfe verweigerte, ich eben einen seiner Männer brauchte. Mit etwas Glück würde der, den ich mir aussuchte, nicht gerade derjenige sein, der Linus verraten hatte.
Der Zufall wollte es, daß ich auf dem Rückweg zum Aventin Fusculus traf. Er wäre die Idealbesetzung für diese Aufgabe gewesen. Fusculus war fasziniert von der Welt der Kleinkriminellen und ein Experte auf diesem Gebiet. Ihm wären sofort alle möglichen Gründe eingefallen, weshalb zwei Frachtdiebe aus Ostia plötzlich in Rom auftauchten. Er selbst hatte mir die Idee eingegeben, daß Gaius und Phlosis ausgesprochen wichtig sein mochten: Ich erinnerte mich, daß er nach der Sache mit dem gestohlenen Boot in Portus erzählt hatte, Balbinus Pius hätte in Rom eine ganze Bande von Hafendieben, die für ihn arbeiteten. Vielleicht gehörten diese zwei ja dazu. Vielleicht waren sie wegen Balbinus hier. Vielleicht bedeutete ihr Besuch, daß das Bordell jetzt als Hauptquartier für sein Imperium diente. Es konnte der gute alte Trick mit der Tarnfirma sein.
Als ich neben ihm auftauchte, grummelte Fusculus: »Verschwinde, Falco!«
Vermutlich hatte Petronius es nicht fertiggebracht, auch nur einem seiner Männer zu gestehen, daß sich
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