Gnadenfrist
nach.
Draußen war ein Straßenkampf im Gange. Es sah aus wie eine verrückte Übung der Ordnungskräfte. Überall waren Vigiles. Sie kämpften gegeneinander. Plötzlich entdeckte ich Petronius, Fusculus und Porcius in ihrer Mitte. Hier griff nicht die Sechste Kohorte ihre eigenen Kameraden an; hier wurde die Sechste von der Vierten bedrängt. So was hatte es seit dem Bürgerkrieg nicht mehr gegeben.
Ein in Gewalt geschulter Mann stürzte über die Straße auf mich zu. Er hielt Tibullinus mit einem schmerzhaften, vollkommen illegalen Griff umklammert. Als ich ihm zusammenzuckend Platz machte, brach er dem Zenturio mit entsetzlichem Krachen einen Knochen und ließ einen rammbockartigen Schlag folgen. Tibullinus rührte sich nicht mehr. Sein Angreifer stand auf. Verächtlich reckte er das Kinn, als verabscheue er einen derart schwachen Gegner.
Auf der anderen Seite der Straße klammerte sich Petronius nach Luft ringend an den Türpfosten des »Öligen Krugs«. Er schenkte mir ein schiefes Grinsen. Der Bezwinger von Tibullinus schaute zwischen uns beiden hin und her.
»Nette Arbeit«, sagte ich. Und meinte es ehrlich.
Was immer wir von ihm gehalten hatten – Marcus Rubella hatte soeben vieles wiedergutgemacht.
Das Getümmel ging weiter. Die Patrouillen kämpften jetzt Mann gegen Mann; ich hielt mich raus, blieb in der Nähe des Tribuns und sah zu. Dann entdeckte ich Petro. Er redete mit Porcius.
Der Junge wirkte verwirrt und schüttelte heftig den Kopf. Obwohl kein Wort zu verstehen war, wußte ich, was da geschah: Mein alter Freund hatte diesen Moment der Trauer und der Erschütterung gewählt, um seinen jungen Rekruten einem disziplinarischen Verhör zu unterziehen.
Ich wußte, warum. Petronius war wieder eingefallen, daß Balbinus Pius von der Sechsten Kohorte bewacht wurde, als er unter Hausarrest stand und auf sein Urteil und das ihm gesetzlich zustehende Recht wartete, Rom zu verlassen. Seine Bewacher waren Tibullinus und Arica gewesen, von denen wir jetzt wußten, daß er sie in der Tasche hatte. Ein Offizier der Vierten war ihnen als Beobachter zugeteilt worden. Der Mann war bei dem Trupp gewesen, der mit Tibullinus und Arica an der Spitze Balbinus nach Ostia begleitet hatte. Wahrscheinlich hatte der Offizier gewußt, daß Linus auf Balbinus’ Schiff geschmuggelt worden war. Dieser Beobachter war Porcius gewesen.
Petronius schien ihn schon seit einiger Zeit in Verdacht gehabt zu haben. Das erklärte, warum er den Rekruten so hart angefaßt hatte; und auch, warum Petro unbedingt Fusculus den kleinen schwarzen Sklaven holen ließ, um den Porcius sich gekümmert hatte. Fusculus sollte den Zeugen vor »Unfällen« schützen. Es erklärte, warum Petronius Porcius gegenüber derart heftig aus der Haut gefahren war.
Auch jetzt war er sehr wütend.
Ich sah Martinus und Fusculus beratschlagen, gleichzeitig ließen beide Petronius nicht aus den Augen. Auch sie hatten schließlich kapiert, was los war. Marcus Rubella stand völlig ausdruckslos mit verschränkten Armen neben mir und beobachtete sie alle. Ehemalige Zenturionen sind die abgebrühtesten Männer, die es gibt. Als Martinus und Fusculus grimmig auf Porcius und ihren Chef zumarschierten, drehten Rubella und ich uns um und verließen den Schauplatz.
LXIV
#Rom schwelgte tagelang in den Geschichten: Wie unten im Elften Bezirk ein Kampf zwischen den Vigiles ausgebrochen war und es einige Tote und viele Schwerverletzte gegeben hatte. Wie ein gewisser VIP, entsetzt über den Zusammenbruch der Ordnung, seine persönlichen Liktoren ins Prätorianerlager hatte schicken müssen, um die städtischen Kohorten herbeizurufen, die, da sie bis an die Zähne bewaffnet waren, dem Aufruhr rasch ein Ende bereitet hatten. Es hieß, dieser gewisse VIP habe sofort ein Schreiben an den Kaiser aufgesetzt, in dem er die laxe Disziplin der Patrouillen und die Selbstzufriedenheit ihrer Offiziere verurteilte und zudem andeutete, das Ganze sei vielleicht von unerwünschten republikanischen Elementen innerhalb der Vigiles angezettelt worden, um die Aufmerksamkeit von einer finsteren Betrugsaffäre im öffentlichen Dienst abzulenken …
Von meinen Kontaktleuten erfuhr ich, daß Vespasian entzückt war, die Ansichten des großen Mannes zu erfahren, obwohl er bereits aufgrund eines schon vorliegenden Berichtes von Marcus Rubella und der offiziellen Antikorruptionseinheit entsprechende Maßnahmen ergriffen hatte.
Deprimiert ob dieser Zurechtweisung, hatte sich der hohe Herr
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