Gnadenfrist
getroffen, mit einer langen Liste in der Hand. Der Präfekt der Vigiles hatte ihn informiert, daß dieses Haus zu seinen Besitztümern zählte. Entsetzt erzählte Florius mir, daß er auf einer vollständigen Liste allen zu Milvias Aussteuer gehörenden Grundbesitzes bestanden habe. Offenbar wollte er sich jetzt als anständiger Ritter einen Überblick verschaffen und die Sache ins reine bringen.
Bei all diesen hektischen Reformbemühungen gab es nur einen einzigen Wermutstropfen. Wir hatten das Bordell und alle anderen Orte, die uns die verhafteten Verbrecher genannt hatten, gründlich durchsucht. Nirgends fanden wir eine Spur von Balbinus Pius.
Petronius und die Vierte Kohorte verbrachten ihre ganze Zeit damit, Rom nach ihm abzusuchen. Balbinus hatte sein Imperium verloren. Seine Frau und seine Tochter wurden überwacht. Er hatte kein regelmäßiges Einkommen, aber wir wußten nur zu gut, daß es ihm nie an Geld mangeln würde. Petro durchkämmte alle Gebäude, die in irgendeiner Weise mit seinem Namen in Verbindung gebracht wurden, aber wenn Balbinus nur einen Funken Verstand besaß, würde er sich unter anderem Namen irgendwo einmieten. Er konnte überall sein. Womöglich hatte er Rom inzwischen sogar endgültig verlassen. Alle Häfen und alle Provinzgouverneure waren informiert worden, aber er konnte unbemerkt verschwunden sein und sich wer weiß wohin abgesetzt haben. Lalage hatte mich vor seinen Verkleidungstricks gewarnt.
Die Suche wurde tagelang fortgesetzt. Ich half, wann immer ich mich von dem endlosen Berichteschreiben freimachen konnte. Außerdem verbrachte ich viel Zeit im Gymnasium und versuchte, in Form zu kommen. Zum einen war ich fest davon überzeugt, daß der Boss der Bosse Rom, sein vertrautes Territorium, nie verlassen würde. Wenn wir ihn in die Enge trieben, könnte das äußerst gefährlich werden. Zum anderen brauchte ich all meine Kraft für ein häusliches Ereignis: Am Tag vor den Kalenden des November sollten Helena und ich, Petro, seine Frau, seine Kinder und seine Ermittlungsmannschaft, meine Familie und viele meiner Verwandten auf einer Hochzeit erscheinen.
Sie war eigentlich für die Kalenden geplant, aber im letzten Moment hatte meine Mutter das Kommando über die chaotischen Vorbereitungen an sich gerissen. Ihre erste Tat war, das Hochzeitsdatum zu verschieben. Sie machte Lenia klar, daß eine Heirat am ersten Tag eines Monats Unglück bringt. Lenia brach in Tränen aus und beschloß auf der Stelle, das Fest auf den letzten Oktobertag vorzuverlegen.
Einige von uns fanden für eine Hochzeit mit Smaractus den Unglückstag viel passender.
LXV
Zwei Tage vor den Kalenden trieb mich die Suche nach einem billigen weißen Schaf fast in den Wahnsinn. Es mußte nichts anderes tun, als hübsch stillzuhalten, wenn ich ihm die Kehle durchschnitt und das Fell abzog – eine Aufgabe, der ich als Stadtkind mit Schaudern entgegensah, die ich aber Lenia zuliebe tapfer durchstehen würde. Sie wollte alles, was dazugehörte: Opferung, Weissagungen und den Teil, wo Braut und Bräutigam zusammen auf dem Schaffell sitzen – dem Schaffell, das ich zu liefern hatte. Ich mußte das Häuten sauber hinkriegen, weil alle zuschauen würden, und außerdem mußte ich dafür sorgen, daß das exorbitant teure Hochzeitskleid der Braut kein Blut abbekam.
Die Planungsexperten unter Ihnen werden sich bereits ausgerechnet haben, daß ich am besten zur Vermeidung größerer Katastrophen das Tier einen Tag zuvor aussuchen und kaufen sollte. Einen Auftritt als Hochzeitspriester, der nichts zu opfern hatte, wollte ich nicht riskieren. Nachdem ich es gekauft hatte, mußte ich das Tier irgendwo unterbringen.
Maia überredete Famia, es im Stall der Grünen übernachten zu lassen. Der Hof der Wäscherei hätte einen vernünftigeren Pferch abgegeben, aber inzwischen wurde Lenia bei dem Gedanken an alles, was möglicherweise Unglück bringen konnte, völlig hysterisch. Ich hätte das Wollknäuel auch bei einem meiner Nachbarn abstellen können, fürchtete aber, von dem wunderbaren Geruch nach gegrillter Lammkeule mit Knoblauch und Rosmarin geweckt zu werden.
Ich mußte das Schaf selbst zu den Ställen bringen. Und am Morgen der Hochzeit mußte ich mit ihm quer durch die ganze Stadt zurück. Ich hatte ihm eine hübsche kleine Leine gebastelt. Und ich kam mir vor wie ein Idiot. Vom Marsfeld bis zur Kuppe des Aventin ist es verdammt weit.
Auf dem Heimweg beschloß ich, bei den Bädern am Tempel des Castor
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