Gnadenfrist
den Laufpaß zu geben?«
»Du gibst wohl nie auf?«
»Ich will mich nicht in zwei Monaten damit abplacken müssen, Gründe für eine Scheidung zusammenzuklauben, damit du ihm deine Mitgift wieder abnehmen kannst. Beweise gegen Smaractus zu finden, wird schrecklicher sein als alles, was ich je tun mußte.«
»Er ist eben eine schillernde Persönlichkeit«, schmollte Lenia.
»Er ist eine Katastrophe.«
»Er muß nur zur Ruhe kommen.«
»Auf einem Misthaufen«, sagte ich.
Danach durfte ich verschwinden, ohne über Prophezeiungen und ähnliches diskutieren zu müssen.
Frohgemut eilte ich die Treppe hinauf und ließ mir unterwegs nur Zeit, der herrenlosen Hündin Nux zuzurufen, daß sie mir ja nicht folgen soll. Sie war eine zottelige Promenadenmischung mit vielfarbigem Fell und hatte klare, seelenvolle Augen. Etwas an ihren großen pelzigen Pfoten und ihrem intelligenten Gesicht war von fataler Anziehungskraft. Ich lief rasch weiter, um sie zu entmutigen.
Inzwischen war es später Nachmittag, und nach der Siesta und vor dem Gang in die Bäder herrschte überall relative Ruhe. Aus den Wohnungen, an denen ich vorbeikam, tönte weniger Lärm als sonst; weniger schreiende Kinder, weniger genervte Erwachsene. Die Gerüche schienen nicht ganz so aufdringlich. Beinahe hätte ich mir einreden können, daß das Haus zwar schäbig und überfüllt war, der Besitzer aber trotzdem die Chance auf ein normales Leben verdiente … Was war los mit mir? In die Hochzeit mit einbezogen zu werden, brachte meine zynische Einstellung ins Wanken. Ich wußte, was es war: Lenia und Smaractus den Priester zu machen, gab mir das Gefühl, für ihr zukünftiges Wohlergehen verantwortlich zu sein.
Fluchend rannte ich, mehrere Stufen auf einmal nehmend, in den vierten und fünften Stock hinauf. Ich wollte die Wäscherei und ihre verrückte Besitzerin so schnell wie möglich hinter mir lassen. Oben verlangsamte ich meinen Schritt. Instinktive Vorsicht ließ mich leise auftreten.
Dafür machte jemand anderer Krach. Als ich den letzten Treppenabsatz erreichte, hörte ich einen Mann ängstlich rufen. Dann schrie Helena: »Nein! Oh nein!«
Ich überquerte den Treppenabsatz mit zwei Sätzen. Die Tür stand offen. Ich schoß hinein, außer Atem vom Treppensteigen, aber bereit für alles.
Die Stimme, die ich gehört hatte, war die von Porcius, Petros jungem Rekruten. Er hielt die eine Hand hoch, versuchte, die Situation zu klären. Was seine Kräfte bei weitem überstieg. Zwei häßliche Schlägertypen, deren gewalttätige Absichten sich nicht übersehen ließen, waren vermutlich kurz vor mir in die Wohnung eingedrungen. Der eine von ihnen, ein höhnischer Riese und regelrechter Muskelprotz, lachte Porcius aus, während der Junge versuchte, ihm mit Vernunft beizukommen. Der andere bedrohte Helena; er hielt unser Müllbaby an seinen dünnen Ärmchen und schwang es vor und zurück wie eine angeklammerte Serviette an einer windigen Wäscheleine.
»Ich bin nicht Falco, und das ist nicht ihr Kind!« versuchte es Porcius tapfer.
Von der Tür her brüllte ich: »Ich bin Falco!«
Der Riese schoß zu mir herum, ein beängstigender Anblick. Ich hatte mein Messer gezogen, mußte es aber fallen lassen. Der kleinere Mann schleuderte etwas in meine Richtung. Ich ließ das Messer fallen, weil ich sein Geschoß auffangen mußte – und das gut: Der Drecksack hatte mit dem Baby nach mir geworfen.
XXXVI
Ich fing es auf und drehte es richtig rum. Das Baby brüllte, war aber offensichtlich noch heil. Trotzdem wollte der Kleine alle wissen lassen, wie wütend er war. Ohne mich durch meinen Blick zu verraten, überlegte ich fieberhaft, wo ich ihn ablegen konnte. Der einzige Ort war der Tisch; an ihn kam ich nicht heran.
Um Zeit zu gewinnen, versuchte ich, die Atmosphäre zu entspannen. »Guten Tag!« begrüßte ich meine unbekannten Besucher. »Sind Sie Melonenverkäufer oder nur Finanzberater, die uns einen günstigen Billigkredit anbieten wollen?« Die beiden Schlägertypen starrten mich an. Witzig zu sein, war momentan meine einzige Waffe; sie wirkten nicht sonderlich beeindruckt. Das Müllbaby hielt inzwischen fest meinen Hals umklammert, brüllte aber nicht mehr. »Sie werden leider gehen müssen«, fuhr ich etwas gepreßt fort. »Mein Arzt hat mir von Fruchtsäure abgeraten, und wir sind ein Haushalt, der aus religiösen Gründen das Schuldenmachen vermeidet.«
»Sie sind Falco!« Das kam von dem Kleineren, dessen Hirn ein wenig langsam zu arbeiten
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