Gnadenlos (Sara Cooper)
Rücken. Der Mann trug einen Anzug, die Krawatte hing lose um seinen Hals, seine Haare waren streng zurückgegelt. Er fixierte Mia, bis er unmittelbar vor ihr stand. Das Mädchen drückte sich gegen die Wand. Er beugte sich über sie, stützte sich mit seinen Armen gegen die Wand. Mia war gefangen, sie roch sein Rasierwasser und spürte seinen Atem. Er holte leise Luft, nahm eine von Mias Haarsträhnen in die Hand und starrte sie an. Mias Herz pochte immer heftiger. Sie brachte keinen Ton heraus.
„Du kannst gehen“, hauchte er ihr ins Ohr und ließ von ihr ab. „Der Verdacht hat sich nicht erhärtet. Du bist frei.“
Mia stotterte, sie konnte das alles nicht fassen. „Bitte was?“
Er stand schon an der Tür. „Los, komm. Wir holen deine Sachen und dann geht es ab nach Hause. Deine Eltern warten schon.“
Mia traute White nicht. Verängstigt blickte sie sich noch einmal nach den anderen Frauen um, die sie gebannt fixierten. Langsam ging sie voraus. Sie rechnete jede Sekunde damit, dass White sie zu Boden warf. Der düstere Gang erschien ihr unendlich lang. Der Anwalt ging dicht hinter ihr, aber nichts geschah. Sie kamen an einer Kabine an, in der ein Mann saß, der Mia einen Beutel in die Hand drückte. Schnell schlüpfte sie in ihre Sandalen.
„Los, da lang“, sagte White.
Mia war irritiert, gehorchte aber. Sie wollte nur schnell weg von diesem dunklen Ort. White drückte sie ungeduldig durch die Tür, die laut hinter ihnen ins Schloss fiel. Sie waren im Freien, die Sonne funkelte vom Himmel, die Hitze war erdrückend. Mia registrierte, wie abgemagert sie war. Ihre Anziehsachen hingen lose an ihr herunter. „Was passiert jetzt?“, fragte sie leise, ohne White anzuschauen. Sie blickte sich um und betrachtete das Gebäude, aus dem sie gerade herausgetreten waren. Es konnte unmöglich ein Gefängnis sein.
White hielt inne und fixierte sie mit seinen kalten Augen. „Ich bringe dich zum Flughafen und setze dich in die nächste Maschine in die Staaten,“ entgegnete er knapp.
Mia schaute ihm nun direkt ins Gesicht. „Was ist mit Claire?“
Er legte seine Stirn in Falten. „Claire? Ich weiß nichts von einer Claire. Los, steig ein.“ Er machte die Tür eines Autos auf und stieß sie unsanft auf die Rückbank. Nachdem er sich neben sie gesetzt hatte, gab er dem Fahrer ein Zeichen loszufahren. Mia schwitzte. Sie dachte an Claire. Sie konnte sie doch hier nicht alleine lassen? Wie ging es ihr? Wo war sie? Und brachte White sie wirklich zum Flughafen? Der Wagen quälte sich durch die überfüllten Straßen von Bangkok, es war fast kein Durchkommen. Die Hitze flimmerte auf dem Asphalt und Auspuffgase wirbelten von der Straße auf. Mia überlegte fieberhaft. Sie konnte jetzt nicht einfach nach Hause fliegen und Claire hier zurücklassen. Aber was, wenn Claire längst zuhause wäre. Nein, das war nicht möglich. Sie standen an einer Ampel. Alles ging sekundenschnell. Mia wollte die Tür aufreißen, sie war mit einem Bein schon auf der Straße, doch White zerrte sie mit einer solchen Kraft zurück auf den Sitz, dass sie befürchtete, er habe ihr den Arm gebrochen. Sie schrie auf. „Sind Sie verrückt? Was soll das?“
Seine pechschwarzen Augen fixierten sie. „Tu das nie wieder!“, sagte er so scharf, dass Mia zusammenfuhr.
In diesem Moment wurde Whites Tür aufgerissen. Dort stand Ryan. „Ryan!“, rief Mia.
Ihr Freund hielt eine Pistole in der Hand und fuchtelte wild damit herum. Er wirkte völlig durcheinander. „Keinen Mucks, White! Los Mia, komm. Schnell.“
Mia überlegte keine Sekunde. Sie hechtete aus dem Auto und sprang auf Ryans Moped. So schnell wie möglich schlängelten sie sich durch den dichten Verkehr.
Kapitel 39
Del Mar, San Diego
Jane saß mit Taylor im Arm auf dem Sofa. Sie hatte ihn ganz fest an sich gedrückt. Obwohl sie und Rick eigentlich keine Kinder mehr geplant hatten, freute sie sich an jedem einzelnen Tag, dass der Kleine da war. Es tat ihr leid, dass sie ihre Mutter vor die Tür gesetzt hatte, aber im Moment ertrug sie einfach keine Nähe. Sie wollte alleine sein. Wie gut, dass ihre Schwester auf der Suche nach Mia war. Sie schloss die Augen und dachte an ihre Tochter. Sie war so schnell erwachsen geworden. Ihr fiel ein, wie Mia ihr Todd vorgestellt hatte, ihren ersten Freund. Jane mochte den Jungen, er war eine gute Wahl gewesen. Mia hatte nie darüber gesprochen, warum die Beziehung in die Brüche gegangen war, aber in dem Alter sprachen Töchter auch nicht mehr mit
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