Gnadenlose Gedanken (German Edition)
Manfred besorgte uns zwei Pints und ein paar Sandwiches. Stumm genossen wir unsere erste irische Mahlzeit. Der Ärger mit meinen Eltern, und den Angriff durch den Koloss, waren meilenweit entfernt.
9
Während Manfred und ich uns den Schaum unseres ersten Guinness von den Lippen wischten, trank Jesus mal wieder das Blut eines jungen Kaninchens. Dies tat er oft und seit seiner frühesten Kindheit. Geschadet hatte es ihm nie. Nur frisch musste es sein, am besten direkt aus der Kehle der kleinen Kreaturen geschlürft. Für ihn war, es wie einmal volltanken. Danach fühlte er sich wie ein Sportler nach einer dreimonatigen Dopingkur. Er spürte, wie das junge Blut seine Muskeln, seinen gesamten Körper, mit neuer Energie versorgte. Meistens vernaschte er zum Nachtisch noch das Herz, das er ihnen dann mit spitzen Fingern heraus stach. Es schmeckte warm und stark, es schien ihn unverwundbar zu machen.
Eigentlich hieß Jesus ja Günther Maria Mirbach, doch diesen Namen hatte er schon vor vielen Jahren abgelegt. Wenn er nicht ab und zu Post erhielte, die ihn darüber informierte, dass seine Rente um 1,35 Prozent gestiegen sei, hätte er seinen früheren Namen längst vergessen gehabt.
Als er noch ein ganz junger Mann gewesen war, fast noch ein Kind, hatte er sich in „Jesus“ umgetauft. Nicht etwa, weil er sich für SEINEN Sohn hielt, sondern weil er sich dem wahren Jesus verpflichtet fühlte. Er wollte den Auftrag von GOTTES Sohn auf Erden vollenden. Er wollte das zu Ende bringen, was Christus vor zweitausend Jahren begonnen hatte. Er vergötterte ihn und seine Taten, seine Wunder. Niemals hätte er es sich angemaßt, sich mit ihm zu vergleichen. Aber ihm nachzueifern, das war sein Auftrag! Gott hatte ihm diese schwierige Aufgabe zugedacht, dafür lebte er. Dafür hatte ER ihn so groß und so stark werden lassen. Damit er dieser heiligen Pflicht gewachsen sein konnte. SEIN Sohn hatte sterben müssen, weil die schwachen Menschen es nicht hatten ertragen können, von einem wie ihm geführt zu werden. Schwache Menschen vernichteten alles, was ihnen überlegen sein könnte, denn schwache Menschen waren feige.
Jesus war nicht feige. Dies lag nicht nur daran, dass er andere Menschen um zwei oder drei Köpfe überragte. Er wusste, dass die
echte
Gefahr von den Schwachen und Kleinen ausging.
Sie mussten vernichtet werden, bevor
sie
SEINE Welt vernichteten. Es gab so viele schwache Menschen! Aber Jesus verzweifelte nicht an seinem Auftrag. Auch wenn er sie ganz alleine besiegen musste, ER hatte ihm die nötige Kraft dazu verliehen. Eines Nachts war ER ihm erschienen, und ER hatte ihm befohlen, das Blut der jungen Tiere zu trinken. ER hatte ihm das Geheimnis verraten, das sie in ihren winzigen Körpern versteckten. In ihnen war die Macht. Obwohl sie so klein und zerbrechlich waren, verbargen sie in ihren dünnen Adern die Quelle allen Lebens. Und ER hatte dieses Geheimnis nur Jesus anvertraut. Die anderen Menschen ahnten nicht, dass die kleinen Tierchen der Schlüssel zur Herrschaft waren. Die Menschen waren so blind und so dumm! Sie verachteten die Tiere, missbrauchten und quälten sie nur. Anstatt sich ihrer übermenschlichen Kräfte zu bemächtigen, hielten sie diese Wesen in Käfigen gefangen, und fütterten sie zu Tode! Die Menschen waren ja so dumm und ahnungslos!
Nur dieser Krüppel, der schien etwas zu wissen. Ob ER ihm das Geheimnis anvertraut hatte? Jesus hatte gespürt, dass der Mann im Rollstuhl anders war, als die anderen. Deshalb war in ihm der Wunsch gewachsen, ihn zu töten, ihn zu vernichten. Der Krüppel verunsicherte ihn. Ja, er machte ihm sogar etwas Angst. Dies war ein völlig neues Gefühl für Jesus. Bisher hatte
er
Furcht verbreitet, plötzlich war aber er das
Opfer
! Der Krüppel musste weg! Er durfte sich nicht zwischen GOTT und Jesus stellen. Er durfte nicht seine Mission vereiteln, durfte nicht verhindern, dass er SEINE Welt rettete. Vielleicht würde Jesus durch das Blut dieser kleinen Ratte nicht nur unverwundbar, sondern sogar unsterblich werden?! Das war es! GOTT hatte ihm diesen Weichen geschickt, um ihn zu härten. Er musste noch stärker werden, um sein Werk vollenden zu können. Jesus wusste, dass es bald vollbracht werden musste. GOTT verlor die Geduld. ER verlor die Geduld mit den Menschen, und unter Umständen sogar mit ihm. Vielleicht zweifelte ER ja plötzlich an ihm? Möglicherweise war ER enttäuscht, weil immer noch die Schwachen auf SEINER Erde regierten. Vielleicht war GOTT
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