Gnadenlose Gedanken (German Edition)
gewesen waren, vergessen. Nun schien es so, als ob ich vor den fremden Gedanken nicht fliehen konnte.
Aber bevor ich diese neue Erkenntnis verarbeiten konnte, musste ich erst einmal diesen perversen Franzosen loswerden, für den es wohl nichts Geileres gab, als einen behinderten Arsch zu ficken.
Vorsichtig löste ich die Bremsen meines Rollstuhls und fuhr langsam auf ihn zu. Dabei schaute ich ihm direkt in die Augen, die plötzlich unsicher hin und her wanderten. Er wusste einfach nicht, was jetzt kommen würde. Aber er hatte wohl so eine Ahnung. Ich blieb unmittelbar vor ihm stehen, die Fußstützen meines Rollstuhls berührten seine Schuhe. Ich flüsterte ihm nur vier Worte zu, langsam und in Deutsch.
„Verpiss dich, du Schwein!“
Er verstand mich auch ohne Dolmetscher. Mit krebsrotem Kopf sprang er auf und verschwand wie ein aufgescheuchtes Reh. Ich bekam ihn nie wieder zu sehen.
Als ich an meinen Platz zurückkehrte, fuhr Manfred in Gedanken immer noch auf Irlands Strassen, vorsichtig darauf bedacht nicht zu vergessen, dass man dort die linke Fahrbahnseite benutzte.
Während der restlichen Zeit unserer Seereise stellte ich fest, dass ich tatsächlich in allen Sprachen der Welt Gedanken lesen konnte. Bei einigen Passagieren war ich mir nicht ganz sicher, aus welchem Land sie stammten, oftmals konnte ich es nur erahnen.
Auf jeden Fall lernte ich in den paar Stunden mehr über die Kulturen der verschiedenen Nationen, als in meinen dreizehn Jahren Schulzeit.
Die Skandinavier schienen sich nur für britisches Bier zu interessieren, die Briten nur für skandinavische Mädchen. Die Mädchen interessierte nur, ob ihre Frisuren noch saßen, (die Mädchen aller Länder!).
Die Südeuropäer versuchten so viele fremde Menschen wie möglich kennenzulernen, die wenigen Osteuropäer, die an Bord waren, versuchten, nicht als solche aufzufallen. Sie schämten sich ihrer Herkunft, keine Ahnung warum.
Die Amerikaner erzählten wiederum jedem, der es hören wollte, oder der das Zuhören nicht vermeiden konnte, dass sie aus den States kamen und back zu ihren roots wollten.
Asiaten fotografierten alles, was ihnen vor die Linsen kam, sie konnten an nichts anderes denken, als an Tiefenschärfe und Belichtungszeiten. Sie mussten sich ein Bild von allem machen, weil sie während ihres kurzen Urlaubs keine Zeit hatten, sich die Sehenswürdigkeiten wirklich
anzusehen
. Das holten sie dann zu Hause bei ihrer Bilderschau nach; überrascht,
wo
sie überall gewesen waren, und was es dort Tolles zu sehen gegeben hätte.
Die Deutschen fielen natürlich wieder gänzlich aus dem Rahmen. Sie fühlten sich als die wahren Herren des Schiffes, waren aber zutiefst verbittert, weil sie das niemanden wissen lassen durften. Sie hatten eigentlich die größten Selbstzweifel, versuchten diese allerdings durch unverschämtes, arrogantes Auftreten zu kaschieren. Ein Opa aus Osnabrück probierte zu erraten, wie viel Prozent des Schiffes aus deutschem Stahl erbaut worden waren. Er kam zu dem Ergebnis, dass es wohl annährend hundert Prozent sein müssten, was ihm seine anfängliche Angst, mit dem Kahn der Tommys untergehen zu können, ein wenig nehmen konnte.
Die sympathischsten Passagiere waren einfach die Iren. Sie freuten sich nur auf ihre Heimat, die sie vor Jahren verlassen mussten, weil ihr Land sie nicht mehr ernähren konnte. Sie wollten zu ihren Familien, wollten in ihren alten Pubs sitzen, mit ihren alten Freunden uralte Lieder singen. Sie kümmerte es nicht, welchen Platz sie in der Rangordnung der wichtigsten Nationen der Welt einnahmen. Tief in ihrem Inneren wussten sie vielleicht, dass sie einem Sheriff aus Amerika, der sich aufmachte, die Welt von allem Bösen zu befreien, oder einem besoffenem Engländer, für den die Welt nur ein riesiges Bierfass war, haushoch überlegen waren. Sie mussten sich das nicht ständig vorsagen, es war einfach so.
Mit dem Morgengrauen erreichten wir Rosslare, ein kleines Hafendörfchen im Südosten Irlands, das eigentlich nur aus dem Fährhafen und ein paar Pubs bestand.
Manfred und ich wollten direkt bis Cork fahren, weiter südlich gelegen, und dort unser erstes Guinness genießen.
Nach wenigen Meilen hatte mein vielseitiger Pfleger sich an den „falschen“ Verkehr gewöhnt, und wir wurden immer lockerer.
Wir hatten uns keine feste Reiseroute gesteckt, es gab aber einige Orte, wo wir auf jeden Fall hinreisen wollten.
Gegen Mittag erreichten wir Cork und steuerten den ersten Pub an.
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