Gnadenlose Jagd
erotische Spannung mehr geben. Sie musste sich nur daran erinnern, wer er war und was er getan hatte, dann würde alles wieder ganz normal sein.
Normal?
Was war denn schon normal in einer Welt, in der liebenswerte Menschen wie Charlie grundlos und kaltblütig ermordet wurden?
»Ich mag Mr Kilmer«, sagte Frankie, als Grace sie an dem Abend ins Bett brachte. »Ich meine Jake. Er hat gesagt, ich soll ihn Jake nennen. Ich finde ihn cool. Aber du magst ihn nicht, stimmt’s?«
»Ich habe ihn einmal gemocht«, antwortete sie beiläufig. »Warum findest du ihn cool?«
»Er hört mir zu. Die meisten Erwachsenen hören Kindern überhaupt nicht zu. Aber er schon.« Sie gähnte. »Und ich glaube, er ist ziemlich klug. Er redet nicht viel, aber irgendwie ist er – Ist er klug, Mom?«
»Sehr klug.«
»Und du hast mit ihm zusammengearbeitet, als du eine Superspionin warst?«
»Ich war keine Superirgendwas. Ich habe nur meine Arbeit getan.« Sie küsste Frankie auf die Stirn. »Fühlst du dich besser, mein Schatz?«
»Ich weiß nicht. Als ich in der Scheune war, musste ich wieder weinen.«
»Das ist normal. Man glaubt, dass man sich beruhigt hat, und dann passiert irgendetwas, und schon fängt man wieder an zu weinen.«
»Du auch?«
»Ich auch. Aber das Wichtigste ist, dass wir getan haben, was Charlie sich gewünscht hätte. Und dass wir uns jeden Tag voller Zuneigung an ihn erinnern. Und das können wir doch tun, oder?«
»Klar.« Ganz zärtlich berührte Frankie mit den Fingerspitzen Grace’ Wimpern. »Die sind ja nass.« Sie drückte ihr Gesicht an Grace’ Brüste. »Es tut mir so weh, wenn du traurig bist. Was kann ich tun?«
Grace’ Kehle schnürte sich zusammen. »Hab mich lieb. Und ich habe dich lieb. Das ist das beste Heilmittel.« Sie drückte Frankie zurück aufs Kopfkissen. »Und jetzt schlaf schön.«
»Alles wird wieder gut, nicht wahr?«, flüsterte Frankie. »Uns wird nichts Schlimmes mehr passieren, oder?«
Grace nickte. »Dir wird nichts passieren. Ich verspreche dir, dass ich auf dich aufpassen werde.«
»Und auf dich auch.«
»Ja, auf mich auch.« Sie deckte Frankie sorgfältig zu. »Ich muss ja schon auf mich selbst aufpassen, damit ich auf dich aufpassen kann. Das gehört zusammen. Gute Nacht, mein Schatz.«
»Gute Nacht, Mom.«
Grace schaltete die Nachttischlampe aus und schlug die Decke auf ihrem eigenen Bett zurück. Wahrscheinlich würde sie ohnehin keinen Schlaf finden, aber sie wollte nicht, dass Frankie allein war, falls sie in der Nacht aufwachen sollte. Ihre Tochter hatte in den vergangenen Tagen so viel Angst und Schrecken erlebt, dass es für ein ganzes Leben ausreichte.
Frankie war bereits eingeschlafen und atmete tief und regelmäßig.
Grace trat ans Fenster und schaute auf den Parkplatz hinunter. Was erwartete sie zu sehen? Eine Elitetruppe, die die kleine Stadt stürmte? Vielleicht. Wenn Marvot sich das Kopfgeld leisten konnte, das er auf sie und Frankie ausgesetzt hatte, dann konnte er sich auch eine Elitetruppe leisten.
Aber keine Truppe, die er anheuerte, konnte so gut sein wie Kilmers Leute.
Ihre Hand umklammerte den Vorhang. Dass dieser Gedanke sie kein bisschen schockierte, bewies, dass er nicht von ungefähr kam. Egal wie sehr sie sich dagegen sträubte, Kilmers Angebot anzunehmen, sie konnte nicht aufhören, daran zu denken. Niemand wäre besser geeignet als er, Frankie zu schützen. Wenn Grace sich auf eigene Faust mit Frankie auf den Weg machte, bedeutete das, dass sie ewig auf der Flucht und wesentlich ungeschützter sein würden. Sie hatte alle möglichen Schlupflöcher ausgekundschaftet, aber nirgendwo würden sie so in Sicherheit sein wie unter Kilmers Fittichen.
Frankie murmelte im Schlaf. Träumte sie?
Und würde der Traum sich in einen Alptraum verwandeln? Grace hatte ihr versprochen, auf sie aufzupassen. Hatte sie das Recht, Kilmers Hilfe abzulehnen, wenn Kilmer ihr besten Schutz garantieren konnte?
Ja, verdammt, dachte Grace. Sie war intelligent und gut ausgebildet, und sie wollte einfach keine Einmischung in ihre –
Nein, es ging darum, was Frankie brauchte, nicht, was Grace wollte. Sollte Kilmer sich doch den Arsch aufreißen und Frankie beschützen. Sie hatte alles verdient, was Kilmer ihr geben konnte.
Sie nahm ihr Handy und wählte die Nummer auf der Karte, die Robert ihr gegeben hatte. Als Kilmer sich meldete, sagte sie: »Mir bleibt nichts anderes übrig, verdammt. Sie braucht Schutz.«
»Drück dich klarer aus.«
»Meine Antwort
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