Gnadenthal
mit mir nach nebenan.» Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. «Wer macht den Anfang?»
«Ich?» Sibylle schaute fragend in die Runde, und als Haferkamp nickte, stand sie auf. Plötzlich war der Druck von ihrer Brust gewichen, sie fühlte sich leicht. Langsam folgte sie Toppe in den Blauen Saal, wo ein Tisch ans Fenster gerückt worden war, auf dem sich verschiedene Formulare und Papier stapelten.
Der Typ war süß, er hatte was, groß, gute Proportionen. Als sie sich ihm gegenüber an den Tisch setzte, schaute er sie an – dunkelblaue Augen – und schob die Ärmel seines blauen Wollpullovers hoch – sexy Unterarme.
«Wollen wir anfangen?»
Sie zuckte zusammen wie ertappt. «Ja, sicher. Ich heiße Sibylle Langenberg.»
«Vorn mit ‹i› und hinten ‹y›?»
«Ja, richtig, geboren am 19. Juni 1957 in Erkelenz. Adresse?»
«Ja, bitte.»
«Fürstenwall 61 in Düsseldorf. Müssen Sie die ganzen Bögen per Hand ausfüllen?»
Toppe schaute ihr wieder in die Augen, und sie erschauerte. «Ich könnte meinen Laptop nehmen, aber ich brauche einfach meine Zettelwirtschaft, auch wenn ich mir dadurch doppelte Arbeit mache.»
«Schöne Handschrift …»
«Nur jede Menge Übung.»
«Ich arbeite als Assistentin im Kultusministerium.»
Seit wann kannte sie Frieder Seidl? Waren sie näher miteinander befreundet gewesen?
«Schildern Sie die ‹Wilde 13›. Wie oft kamen Sie zusammen? Welche Rolle spielte Frieder Seidl in der Gruppe?»
«Er war schon irgendwie unser heimlicher Star. Und er hat alles gemanagt.»
Hatte es unter ihnen Streit gegeben?
Bylle senkte die Lider. «Sie wissen doch, wie Künstler sind, ein bisschen hysterisch und hyperempfindlich. Gestern waren wir alle ein wenig gestresst, aber so was kommt immer mal vor, das ist nichts Besonderes, wirklich nicht.»
Er schaute sie lange an, insistierte aber nicht, sondern zog ein blaues Blatt aus seinem Stapel. Er schrieb etwas darauf und schob es unter sein Formular.
Wusste sie, was letzte Nacht passiert war? Hatte sie eine Beobachtung gemacht?
«Sie meinen, wie … wer Frieder … umgebracht hat? Nein!»
Wann hatte sie Frieder zum letzten Mal gesehen? Wo? Mit wem zusammen?
Ihr wurde heiß im Gesicht. «Ich bin mir nicht sicher, ich hatte nämlich ein bisschen was getrunken. Aber ich glaube, das war gegen eins im Salon, da waren wir alle zusammen. Ach nee, stimmt nicht, Martin war schon länger weg, und Patricia war auch schon gegangen.»
«Martin und Patricia?»
«Herr Haferkamp und Frau Seidl, Frieders Frau.»
Toppe nahm ein leeres Blatt und notierte die Uhrzeit.
«Gegen ein Uhr also. Und was haben Sie danach gemacht?»
«Was die anderen gemacht haben, weiß ich nicht. Ich bin jedenfalls zu Dagmar … zu Frau Henkel aufs Zimmer, und wir haben noch ein bisschen gequatscht.»
«Wie lange?»
Sie grub die Zähne in die Unterlippe und machte ein saugendes Geräusch. «Das weiß ich leider nicht genau, wir haben nämlich bei ihr auch noch …»
«… ein bisschen was getrunken?» In seinen Augenwinkeln tauchten feine Lachfältchen auf. «Die ungefähre Uhrzeit würde mir reichen.»
«Na ja, kann sein, so halb drei rum. Aber vielleicht weiß Rüdiger … Henkel das noch. Den habe ich nämlich getroffen, als ich auf mein Zimmer wollte.»
Wieder machte sich der Kommissar Notizen, eine weitere Uhrzeit und auf einem Extrazettel ein paar Kürzel, die sie von ihrer Seite aus nicht entziffern konnte.
«Und dann?»
«Na ja, wir haben uns noch unterhalten, in meinem Zimmer und …»
Seine Mundwinkel zuckten amüsiert.
«Aber ich weiß beim besten Willen nicht mehr, bis wann. Ich war nur noch todmüde und habe nicht mehr auf die Uhr geschaut.»
«Sind Sie dann schlafen gegangen?»
«Ja.»
«Und in der Zeit zwischen ein Uhr und dem Zeitpunkt, an dem Sie schlafen gegangen sind – also auf alle Fälle nach halb drei –, haben Sie Frieder Seidl nicht gesehen?»
«Nein, ganz bestimmt nicht. Ich war ja nur auf unserem Flur. Mein Zimmer ist schräg gegenüber von Dagmars, und Frieder hat seins ein Stockwerk höher.»
«Haben Sie vielleicht etwas Ungewöhnliches gehört?»
Sie überlegte. «Doch, stimmt, jetzt, wo Sie’s sagen. Irgendwann mal hat es auf dem Flur schrecklich gepoltert. Da saß ich noch mit Rüdiger zusammen, aber ich habe keine Ahnung, wann das gewesen sein könnte.»
«Und Sie haben nicht nachgeschaut?»
«Nö, wir waren zu faul. Außerdem war es dann ja auch wieder still.»
Toppe schaute auf seine Uhr und
Weitere Kostenlose Bücher