Gnadentod
überreichte, gab es dann einen Grund, seinem Urteil zu vertrauen?
Etwas - ein Riss - war in dieser Familie entstanden. Etwas, das mit Joannes Tod zu tun hatte - das Wie und das Warum. Bob Manitow behauptete, ihr Verfall gehe einzig auf eine Depression zurück, und vielleicht hatte er Recht damit. Aber trotzdem: Diese Art emotionaler Zusammenbruch kam nicht über Nacht. Was hatte eine Frau mit einem zweifachen Doktortitel dazu veranlasst, sich selbst langsam zu zerstören?
Irgendetwas, das schon lange bestand … etwas, weswegen Richard einen Grund hatte, Schuldgefühle zu entwickeln? Eine derart erdrückende Schuld, dass er gezwungen war, seine Gefühle auf Mate zu übertragen?
Töte den Boten.
Mach eine blutige Angelegenheit daraus. Vater und Sohn. Und Tochter.
Da war Stacy, die alleine am Strand saß, und Eric, alleine unter einem Baum. Jeder war irgendwie isoliert. War das etwas, das der Mord an Mate auf die Spitze getrieben hatte? Wieder saß ich da und grübelte, geradezu besessen.
Im Alter von neun Jahren hatte ich eine zwanghafte Phase. Ich beklebte meine Schubladen mit Etiketten, richtete meine Schuhe im Schrank aus, ich konnte nicht einschlafen, wenn ich mir die Bettdecke nicht auf eine sehr komplizierte Weise über den Kopf zog. Vielleicht hatte ich aber auch nur versucht, die Geräusche auszusperren, die mein Vater in seiner Wut machte.
Ich bog von der Veteran auf den Sunset Boulevard und raste das Tal hinauf, während ich noch immer meine Gedanken hin und her schob und meine Schlüsse zog.
Die Straße zu meinem Haus tauchte so plötzlich vor mir auf, dass ich sie um ein Haar verpasst hätte. Ich nahm die scharfe Kurve auf den Reitweg, brauste den Hügel empor, passierte die Torpfosten und parkte vor meinem kleinen Stück vom amerikanischen Traum.
Home sweet home. Richards wurde abgerissen. Ziegel für Ziegel.
Robin war im Wohnzimmer und richtete sich auf, als ich hereinkam. Von Spike war nichts zu sehen.
»Er ist hinterm Haus«, sagte sie, »und macht sein Geschäft, falls du es genau wissen willst.«
»Ein Geschäftsmann.«
Sie lachte und küsste mich. Dann sah sie mein Gesicht und musterte den Aktenordner. »Sieht so aus, als hättest du auch noch Geschäftliches zu erledigen.«
»Dinge, von denen du nichts wissen willst«, sagte ich.
»Über Mate? In den Nachrichten hieß es, man hätte jemanden festgenommen.«
»Tatsächlich?« Ich erzählte ihr von Korns und Demetris Überraschungsbesuch.
»Hier? Ach, du meine Güte.«
»Sie haben geklingelt und ihn vor den Augen seiner Kinder mitgenommen.«
»Das ist ja schrecklich - wie konnte Milo so etwas tun?«
»Das war nicht seine Entscheidung. Seine Vorgesetzten haben ihn übergangen.«
»Wie schrecklich - für dich muss es die reinste Hölle gewesen sein.«
»Für die Kinder war es noch viel schlimmer.«
»Die Armen … Der Vater, Alex, ist er zu einer solchen Tat fähig? Entschuldige, sie sind immer noch deine Patienten, ich sollte eine solche Frage nicht stellen.«
Ich sagte: »Ich bin nicht sicher, ob sie noch meine Patienten sind. Und auf deine Frage habe ich auch keine brauchbare Antwort.«
Nichtsdestotrotz war meine Antwort so deutlich gewesen, als hätte ich sie ihr buchstabiert.
Natürlich ist er dazu fähig.
»Liebling?«, sagte sie und legte ihren Arm um meinen Nacken. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und drückte ihre Nase gegen meine. Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich einige Zeit dagestanden hatte, schweigend, selbstvergessen. Die Akte fühlte sich bleischwer an. Ich hob sie etwas höher.
Sie legte mir den Arm um die Hüfte, und wir gingen in die Küche. Sie schenkte uns Eistee ein, und ich setzte mich an den Tisch, nachdem ich Fuscos Opus außerhalb meines Blickfelds platziert hatte. Einen Moment lang kämpfte ich gegen das Bedürfnis an, Robin in der Küche sitzen zu lassen und mich in den Kreuzzug des FBI-Manns zu vertiefen. Ich wollte an Fuscos Projekt glauben können, irgendein großartiges forensisches Aha! entdecken, das Richard entlasten und mich in Stacys und Erics Augen zu einem Helden machen würde.
Stattdessen saß ich da, griff nach der Fernbedienung und schaltete eine Nachrichtensendung ein. Ein rotes Dreieck Aktuell! füllte die linke obere Ecke des Bildschirms. Ein ausgesprochen glücklich wirkender Reporter umklammerte sein Mikrophon und trällerte: »… im Mordfall des Todesdoktors Eldon Mate. Aus zuverlässiger Quelle haben wir erfahren, es handele sich bei dem befragten Mann um
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