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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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kennen gelernt haben? Eigentlich ist es keine große Geschichte. Eldon hat in diesem Apartmentkomplex gelebt, in dem meine Mutter als Putzfrau arbeitete - sie war illegal hier und bekam deshalb keinen anständigen Job. Mein Dad war hundert Prozent legal, hatte eine Arbeitserlaubnis, war Landschaftsgärtner bei Luckett Construction, damals die größte Firma in der Branche. Mein Dad bekam die Staatsbürgerschaft, holte meine Mom aus El Salvador nach, aber sie hat sich nie darum gekümmert, Papiere zu bekommen. Ich wurde hier geboren, bin eine echte Amerikanerin. Meine Freunde nennen mich Willy. Eldon hat jedenfalls in dem Komplex gewohnt, und ich bin ihm häufig über den Weg gelaufen, wenn ich die Fußwege aufgewischt oder die Blumen beschnitten habe. Dann haben wir uns unterhalten.«
    »Das war in San Diego?«
    »Ja. Ich war erst ein paar Jahre aus der Highschool raus und habe meiner Mutter geholfen. Zwischendurch bin ich zum Junior College gegangen, weil ich Krankenschwester werden wollte. Eldon war viel älter - sechsunddreißig, sah aber aus wie Mitte vierzig. Er hatte fast keine Haare mehr auf dem Kopf. Ich fand ihn anfangs nicht attraktiv, aber dann gefiel er mir doch. Weil er höflich war. Nicht nur um am Anfang Eindruck zu schinden, sondern die ganze Zeit. Und ruhig war er auch. Das war gut, von lauten Männern hatte ich genug. Außerdem dachte ich damals, dass er ein Genie ist. Er hatte eine Stelle als Chemiker, überall lagen naturwissenschaftliche Bücher und alle möglichen anderen Bücher herum, und er hat die ganze Zeit gelesen. Damals glaubte ich, Bildung wäre der richtige Weg, um gerettet zu werden.«
    »Und jetzt nicht mehr, wie?«
    »Ob Weiser oder Narr - wir sind alle schwache Sterbliche. Das einzige Genie ist der dort oben.« Sie zeigte zur Decke. »Würde ein Genie denn andere Leute umbringen? Selbst diejenigen, die darum gebeten haben? Klingt das denn nach einer klugen Beschäftigung, wenn wir uns alle in der nächsten Welt für unsere Taten verantworten müssen?«
    Sie schüttelte den Kopf und sprach zu den Deckenfliesen. »Eldon, ich möchte jetzt nicht in deiner Haut stecken.«
    Die Desserts kamen. Sie wartete, bis Milo sich eine Gabel in den Mund geschoben hatte, bevor sie ihre Torte in Angriff nahm.
    »Aber am Anfang waren Sie von seiner Bildung beeindruckt«, sagte ich.
    »Ich dachte damals, Bildung sei alles und dass ich staatlich geprüfte Krankenschwester werden würde - als ich nach Oakland zog, hatte ich diese … ich glaube, Sie würden es Fantasien nennen. Eldon würde eine Arztpraxis aufmachen, und ich würde für ihn arbeiten. Aber dann wollte er nichts mit Donny und mir zu tun haben, deshalb musste ich weiter arbeiten und kam nie dazu, meine Ausbildung abzuschließen.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich beklage mich nicht. Ich kümmere mich um die alten Leute und tue sowieso genau dasselbe wie die wichtigen Krankenschwestern. Und jetzt weiß ich, dass es keine Abkürzung zum Glücklichsein gibt, es spielt keine Rolle, welchen Beruf man in dieser Welt hat. Die wichtige Welt ist die jenseitige, und der einzige Weg, um dahin zu kommen, ist Jesus. Das ist genau das, was meine Mutter mich gelehrt hat, nur habe ich ihr damals nicht zugehört. Niemand hat ihr zugehört, das war die Bürde, die sie mit sich herumtragen musste. Mein Vater war gottlos. Sie hat ihn erst bekehren können, als er im Sterben lag, und auch dann erst, als die Schmerzen richtig schlimm wurden - was blieb ihm da schon anderes als Beten?«
    Der Rücken ihres Löffels glitt über den Sahneüberzug ihrer Schokoladencremetorte. Sie leckte ihn ab und sagte: »Mein Dad hat sein ganzes Leben lang geraucht, dann bekam er Lungenkrebs. Er hat sich auf seine Knochen ausgebreitet und das ganze Rückgrat befallen. Er starb unter schlimmen Schmerzen, er würgte und schrie. Es war grauenhaft. Das hat auf Eldon einen großen Eindruck gemacht.«
    »Eldon hat gesehen, wie Ihr Vater starb?«, fragte ich.
    »Allerdings. Das war direkt nach unserer Hochzeit. Wir haben Dad im Krankenhaus besucht, und er hat Blut gespuckt und geschrien vor Schmerzen, und Eldon wurde weiß wie die Wand und musste hinausgehen. Wer hätte damals ahnen können, dass er Arzt werden würde. Wissen Sie, was ich glaube? Dass er Dad hat sterben sehen, könnte mit ein Grund dafür sein, dass Eldon mit diesem Todesgeschäft angefangen hat. Es war wirklich grauenhaft, und Mom und ich haben es nur überstanden, indem wir gebetet haben. Aber Eldon

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