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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Sie sah furchtbar aus - ihr Zahnfleisch verfaulte langsam, und die Haare gingen ihr schon büschelweise aus. Und trotzdem, als Eric sie rauskarrte, sah sie tatsächlich begeistert aus - als wollte sie sagen: Oh, prima, noch ein Abenteuer. Sie waren die ganze Nacht weg. Am nächsten Morgen kam Eric allein nach Hause.«
    Sie drehte sich zu mir um. »Niemand hat je darüber gesprochen. Ein paar Wochen später ist Mom gestorben.«
    Ihre Hände lösten sich abrupt vom Steuer, als hätte sich ein unsichtbarer Dämon ihrer bemächtigt, umfassten ihr Gesicht und verbargen es. Sie beugte sich nach vorn, bis ihre Stirn das Steuerrad berührte. Der Pferdeschwanz wippte, und ihre schwarzen Locken vibrierten. Sie zitterte wie ein nasser Hund, und als sie aufschrie, wurde der Laut fast völlig vom Meer übertönt. Der Mann mit dem Metalldetektor war fünfzig Meter weitergegangen und befand sich wieder in seiner eigenen Welt, gebückt, sondierend.
    Als ich meine Hand durch das Fenster auf Stacys Schulter legte, erschauderte sie, als stieße die Berührung sie ab, und ich zog meine Hand zurück.
    All die Jahre höre ich schon Menschen zu, die leiden, und inzwischen beherrsche ich das perfekt, trotzdem hasse ich es noch so wie am ersten Tag. Ich stand da und wartete, während sie schluchzte und zitterte und ihre Stimme fester und höher wurde, bis sie einen gellenden Schrei ausstieß, der wie das Kreischen einer aufgeschreckten Möwe klang.
    Schließlich ließ das Zittern nach, und sie wurde still. Sie klappte ihre Hände nach oben wie Sonnenblenden, sodass ihr Gesicht sichtbar wurde, doch sie hielt den Kopf noch immer gesenkt, während sie etwas vor sich hinmurmelte.
    Ich beugte mich vor und hörte sie sagen: »Verschwindet.«
    »Was?«
    Sie schloss die Augen, öffnete sie wieder und drehte sich zu mir um. Ihre Bewegungen wirkten schwerfällig und mühsam.
    »Was?«, fragte sie müde.
    »Was verschwindet, Stacy?«
    Sie zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Alles.« Der Ton ihres Lachens gefiel mir nicht.
     
    Schließlich überzeugte ich sie, aus dem Wagen auszusteigen, und wir spazierten schweigend auf dem Asphalt nach Norden, parallel zur Küstenlinie. Der Mann mit dem Metalldetektor war nur noch ein Fleck, der sich am Horizont bewegte.
    »Vergrabene Schätze«, sagte sie. »Der Typ glaubt dran. Ich hab ihn aus der Nähe gesehen, er muss um die siebzig sein, aber er buddelt nach Nickels - Hören Sie, es tut mir Leid, dass ich Sie den ganzen Weg hierher habe fahren lassen. Tut mir Leid, dass ich am Telefon so ungezogen war und Ihnen auf die Pelle gerückt bin, weil Sie für die Cops arbeiten. Sie haben das Recht, jede Arbeit anzunehmen, die Sie annehmen wollen.«
    »Das musste ja verwirrend für Sie sein«, sagte ich. »Ihr Vater hat mir grünes Licht gegeben, Ihnen aber nichts davon gesagt. Falls er seine Meinung geändert hat, hat er mir nichts davon erzählt.«
    »Ich weiß nicht, ob er seine Meinung geändert hat. Er war nur verärgert, weil der Cop kam, um ihm Fragen zu stellen, und er mag es nicht, wenn er nicht die Bedingungen diktiert.«
    »Trotzdem«, sagte ich, »glaube ich, ich ziehe mich am besten aus dem -«
    »Nein«, sagte sie. »Tun Sie das bitte nicht meinetwegen. Mir ist es egal - es spielt wirklich keine Rolle. Mit welcher Berechtigung dürfte ich denn Ihr Einkommen schmälern?«
    »Es ist keine große Sache, Stacy -«
    »Nein. Ich bestehe darauf. Jemand hat diesen Mann getötet, und wir sollten alles tun, was wir können, um herauszufinden, wer es war.«
    Wir.
    »Um der Gerechtigkeit willen«, sagte sie. »Um der Gesellschaft willen. Egal, was für ein Mensch er war. Jemand, der so etwas tut, darf nicht ungestraft davonkommen.«
    »Was für Gefühle verbinden Sie mit Dr. Mate?«
    »Ich fühle nicht viel, weder in der einen noch in der anderen Richtung. Dr. Delaware, all die anderen Male, die wir miteinander gesprochen haben, war ich nie wirklich ehrlich Ihnen gegenüber. Ich habe Ihnen nie erzählt, wie verkorkst unsere Familie wirklich ist. Aber das sind wir - niemand kommuniziert wirklich mit dem anderen. Es ist, als würden wir zusammenleben - zusammen existieren. Aber wir … es gibt keine … Verbindung zwischen uns.«
    »Seit dem Zeitpunkt, als Ihre Mutter krank wurde?«
    »Auch vorher schon. Als ich noch klein und sie gesund war, müssen wir Spaß zusammen gehabt haben, aber ich erinnere mich nicht daran. Ich will nicht sagen, dass sie keine gute Mutter war. Sie hat alles richtig gemacht. Aber ich

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