Gnadentod
an Qualifikationen, um Sie zum Hinsetzen zu bewegen?«
Milo glitt in die Nische, und ich setzte mich neben ihn.
Fusco musterte mich. »Dr. Delaware? Hervorragend. Ich habe meinen Doktor nicht in klinischer Medizin gemacht, sondern in Persönlichkeitstheorie.« Er fummelte an seinem Tweedschlips herum. »Danke, dass Sie gekommen sind. Ich will Ihre Intelligenz keinesfalls beleidigen, indem ich Sie frage, wie Sie im Fall Mate vorankommen. Sie sind gekommen, obwohl Sie es für eine Zeitverschwendung halten, weil Sie nicht in der Position sind, in der Sie das Angebot von Informationen zurückweisen können. Wollen Sie etwas bestellen, oder soll dieses Treffen weiterhin auf der Ebene testosteronbeladener Wachsamkeit ablaufen?«
»Was halten Sie denn wirklich so vom Leben?«, fragte Milo.
Fusco bleckte erneut grinsend die Zähne. »Für mich nichts«, sagte Milo. »Was ist denn mit diesem Burke?«
Eine Kellnerin näherte sich, doch Fusco bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass ihre Dienste nicht benötigt würden. Neben seinem Sandwich stand ein großes Glas Coca Cola. Er nahm einen Schluck und setzte das Glas schweigend wieder ab.
»Michael Ferris Burke«, sagte er, als rezitierte er den Titel eines Gedichts. »Er ist wie der Aids-Virus: Ich weiß, was er ist, ich weiß, was er tut, aber ich kriege ihn nicht zu fassen.«
Er sah Milo freundlich an. Ich fragte mich, ob der Aids-Bezug über einen allgemeinen Vergleich hinausging.
Milos Gesichtsausdruck verriet, dass es sich seiner Ansicht nach genauso verhielt. »Wir haben alle unsere Probleme. Wollen Sie mich aufklären oder sich bloß beklagen?«
Fusco behielt sein Lächeln bei, als er nach links unter den Tisch griff und einen ziegelroten Ordner hervorzog, der etwa fünf Zentimeter dick und mit einer Schnur zugebunden war.
»Das ist eine Kopie der Burke-Akte, genauer gesagt, der Rushton-Akte. Sein Medizinstudium hat er als Michael Ferris Burke absolviert, aber geboren wurde er als Grant Huie Rushton. Dazwischen gibt es noch ein paar weitere Namen, er erfindet sich offenbar gern immer wieder neu.«
»Dann kann er sich also jetzt um einen Job in Hollywood bewerben«, sagte Milo.
Fusco schob die Akte in Milos Richtung, der einen Augenblick zögerte, bevor er sie vollends zu sich herüberzog und zwischen uns auf die Bank legte.
»Wenn Sie eine knappe Zusammenfassung haben wollen, gebe ich sie Ihnen gern«, sagte Fusco.
»Legen Sie los.«
Die Muskeln von Fuscos linkem Augenlid zuckten kurz. »Grant Huie Rushton wurde vor vierzig Jahren in Queens in New York geboren. In Flushing, um genau zu sein. Normale Schwangerschaft, keine Komplikationen, einziges Kind. Die Eltern waren Philip Walter Rushton, Werkzeugmacher, neunundzwanzig Jahre alt, und Lorraine Margaret Huie, siebenundzwanzig, Hausfrau. Als der Junge zwei Jahre alt war, kamen beide Elternteile bei einem Unfall auf dem Philadelphia Turnpike ums Leben. Der kleine Grant wurde nach Syracuse gebracht, wo er von seiner Großmutter mütterlicherseits, Irma Huie, aufgezogen wurde, einer Witwe und notorischen Alkoholikerin.«
Fusco rieb sich die Hände. »Logik und Psychologie sagen mir, dass Rushtons Probleme früh begonnen haben müssen, aber an Aufzeichnungen aus seiner Kindheit heranzukommen, die seine Krankheitsgeschichte dokumentieren, hat sich als schwierig erwiesen, weil er nie professionelle Hilfe erhalten hat. Ich habe einige Grundschulberichte aufgetrieben, in denen von »disziplinarischen Problemen< die Rede ist. Er war kein geselliges Kind, deshalb hat sich die Suche nach Altersgenossen, die sich noch deutlich an ihn erinnern, als ziemlich schwierig herausgestellt. Als ich vor einigen Jahren in seine Wohngegend in Syracuse gefahren bin, habe ich ein paar Leute ausfindig gemacht, die den Jungen als intelligent, begabt und von ausgesprochener Gemeinheit erinnern ->bösartig< war das Wort, das immer wieder gefallen ist.«
Er tippte mit dem rechten Zeigefinger gegen den seiner linken Hand. »Grausamkeit Tieren gegenüber, Tyrannisieren anderer Kinder, man hatte ihn im Verdacht, für ein paar herbe Streiche, Diebstähle und Einbrüche in der Nachbarschaft verantwortlich zu sein. Die Großmutter war als Erziehungsberechtigte unfähig, und Grant hatte freie Hand. Er war clever genug, sich nicht erwischen zu lassen, und hat als Jugendlicher keine Vorstrafen bekommen, soweit ich weiß. Im Highschool-Jahrbuch - eine Kopie seines Eintrags ist in der Akte - sind keine Freizeitaktivitäten oder -auszeichnungen
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