Gnadentod
schob sich aus der Nische. Er hatte keine Aktentasche bei sich. Sein Jackett wölbte sich an der Stelle nach außen, wo er das Sandwich hineingestopft hatte. Kein großer Mann, immerhin. Höchstens einsdreiundsiebzig, mit einem langen Oberkörper auf kurzen, krummen Beinen. Sein Jackett war offen, und ich sah mehrere schwarze Kugelschreiber nebeneinander in der Brusttasche seines Hemdes, während er den Pieper und ein Handy an seinen Gürtel geklemmt hatte. Eine Waffe sah ich nicht. Humpelnd verließ er das Restaurant, wobei er sich mit den Fingern über das weiße Haar strich. Er sah aus wie ein müder alter Handelsvertreter, der es nicht geschafft hatte, sein Pensum zu erfüllen.
20
Milo und ich blieben in der Nische sitzen.
Die Kellnerin beugte sich schützend über die alte Frau. Er winkte nach ihr, worauf sie einen Finger hob.
Er sagte: »Typisch Feds - wir haben die Rechnung an der Backe.«
»Er mochte das Bruststück, hat aber nicht viel davon gegessen«, sagte ich. »Vielleicht hatte er den Bauch voll mit etwas anderem.«
»Zum Beispiel?«
»Mit Frust. Er ist schon eine ganze Weile an diesem Fall - reagierte ein bisschen angesäuert, als ich Burke sein Projekt nannte. Das kann manchmal dazu führen, dass man mit Scheuklappen durch die Gegend läuft. Auf der anderen Seite gibt es eine Menge, was zusammenzupassen scheint.«
»Was denn - >Geometrie«
»Ein Mörder mit einer medizinischen Ausbildung und künstlerischen Interessen, die Kombination von »Euthanasie« und Lustmord. Und er war schrecklich nahe dran, als er die Einzelheiten des Mordes an Mate beschrieb, bis hin zu der überraschenden Attacke und der Säuberungsaktion.«
»Das könnte er von einer undichten Stelle im Department erfahren haben.«
Die Kellnerin kam herüber. »Die Rechnung ist bereits bezahlt, Sir. Von dem weißhaarigen Gentleman.«
»Ein Gentleman ist er allerdings.« Milo reichte ihr einen Zehner.
»Das Trinkgeld ist auch bereits bezahlt«, sagte sie. »Dann ist es jetzt eben zweimal bezahlt worden.« Sie strahlte. »Vielen Dank.«
Als sie gegangen war, sagte ich: »Siehst du, du hast zu hart über ihn geurteilt.«
»Macht der Gewohnheit… Okay, dann habe ich also ein bisschen was von meiner Einkommenssteuer zurückbekommen … Ja, es gibt Ähnlichkeiten, aber die gibt es häufig bei Psychokillern, nicht wahr? Das Repertoire ist begrenzt: Du schlägst zu, du schießt, du schneidest. Aber es ist weit davon entfernt, perfekt zu passen. Fangen wir mit dem Grundsätzlichen an: Mate ist keine junge Frau, und er war nicht an einen Baum gefesselt. Fusco kann sich drehen und wenden wie er will, aber ob er nun ein Dr. phil. ist oder nicht, am Ende läuft es darauf hinaus, was er fühlt. Und was bringt es mir, wenn wir Burke zu einem Verdächtigen erklären? Dann versuche ich ein Phantom zu stellen, das das FBI in drei Jahren nicht hat schnappen können? Ich habe schon ein paar aussichtsreiche Kandidaten in greifbarer Nähe.«
Seine Hand streifte den Aktenordner. »Wenn ich mich weigere zu kooperieren, wird er sich an meine Bosse wenden, und dann sitze ich mit diesem Sondereinheitsquatsch in der Klemme. Im Moment versucht er’s mit mir von Cop zu Cop.«
Ein paar mehrfach gepiercte, schwarz gekleidete Jugendliche betraten das Restaurant und belegten eine Nische im vorderen Teil. Es wurde viel gelacht. Ich hörte, wie das Wort »Pastrami« fiel, als wäre es eine Pointe.
»Nitrite für die Nachtschwärmer«, murmelte Milo. »Willst du mir einen großen Gefallen tun? Einen, der dich nicht in einen Interessenkonflikt bringt?«, fragte er und pochte auf den Ordner. »Geh das hier für mich durch. Solltest du auf irgendwas Interessantes stoßen, nehme ich es etwas ernster … Künstlerisch. Burke zeichnet, er malt nicht. Wir haben bereits eine Ahnung, wer dieses Meisterwerk geschaffen hat… Also, geht das?«
»Kein Problem.«
»Danke. Dann habe ich Zeit für den Kram, der Spaß macht.«
»Und das wäre?«
»Eklige besetzte Häuser in Venice durchstöbern.«
Er stemmte sich aus der Nische hoch.
»FBI-Leute mit Dr. phil.«, sagte er. »Bösewichter mit Dr. med. Und ich mit einem schäbigen Magister - kein schönes Gefühl, deklassiert zu werden.«
Es war kurz nach drei, als ich mit dem Aktenordner nach Hause kam. Robins Pick-up stand nicht mehr da, und die Post lag immer noch im Briefkasten. Ich holte den Stapel herein, machte mir einen Kaffee, trank anderthalb Tassen, nahm den Ordner mit in mein Büro und rief meinen
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