Gnosis
seinen Hals. Er packte sie und zog daran. Als er das warme Metall berührte, war es für einen Moment so, als wäre sein Geist von einer großen Blase umgeben.
Sein Magen rebellierte, und ihm kam die Galle hoch, doch Laszlo schluckte sie herunter und riss an der Kette. Dietrich heulte vor Schmerz, als sie ihm in die Haut schnitt. Und dann riss sie. Laszlo öffnete seine Hand und ließ die Kette fallen.
Augenblicklich füllte sich die Leere wieder. Jetzt musste er auf den ungeschützten Geist zweier Menschen gleichzeitig einwirken. Laszlo wusste, dass er Dietrich dazu bringen konnte, ihn zu lieben, genau wie Tom. Aber er ahnte, dass das nicht der richtige Weg sein konnte. Laszlo musste sich die Gefühle zunutze machen, die bereits in Dietrich wirkten – Angst.
«Tom», sagte Laszlo zu dem durchaus furchteinflößenden Soldaten. «Behalten Sie den Doktor im Auge. Wenn er irgendwas anstellen will, schlagen Sie ihn k.o.»
Laszlo gab dem Arzt so viel Angst ein, bis sie alle anderen Emotionen gelöscht hatte. Im selben Moment krümmte sich Dietrich und musste sich übergeben. Mit zitternder Hand wischte er sich über den Mund und sank auf die Couch.
Tom ragte über ihm auf, breitbeinig, die Arme locker in die Seiten gestemmt. Laszlo durchsuchte die großen, grauen Metallschränke im Raum, bis er fand, was er suchte. Als er wieder vor seinem Gefangenen stand, starrte Dietrich entsetzt auf das, was Laszlo in der Hand hielt.
«Was … was haben Sie vor?»
KAPITEL 43
«Strecken Sie die Arme aus!», befahl Laszlo.
Einen Moment sah Dietrich ihn an, zu verstört, um sich zu bewegen. Laszlo gab etwas nach und linderte die überbordende Angst des Wissenschaftlers ein wenig. Laszlo spulte das dicke, blaue Computerkabel ab und wickelte es mehrere Male um die Handgelenke des Wissenschaftlers. Dann schnitt er das Kabel mit einer großen Schere von der Rolle ab und verknotete die Enden. Schließlich fesselte er auch Dietrichs Füße.
«Ich werde Ihnen ein paar Fragen stellen. Sie werden mir antworten … oder Sie unterhalten sich mit ihm.» Laszlo deutete auf Tom, der hinter ihm stand. Er gab dem Wissenschaftler eine Heidenangst ein und Tom gleichzeitig bittere Gewaltbereitschaft.
«Alles, was Sie wollen …», keuchte Dietrich, «aber … aber lassen Sie nicht zu, dass er mir etwas antut!»
Als Laszlo dem Wissenschaftler in die zuckenden Augen blickte, zögerte er und fragte sich, ob es richtig war, den Mann manipulieren zu wollen. Dann sah er zu den Monitoren mit den schlafenden Kindern und wusste, dass er keine Wahl hatte.
«Niemandem wird was passieren …», sagte Laszlo, ohne Dietrichs Angst zu lindern, «… solange Sie mir gegenüber ehrlich sind. Aber wenn nicht …»
Dietrich schüttelte heftig den Kopf. «Ich werde nicht lügen. Ich schwöre es!»
«Gut.» Wenn der Wissenschaftler ihn belog, würde Laszlo es ohnehin sehen, doch er wollte keine Zeit verschwenden.
«Wonach wird hier geforscht?»
«Verhaltensmodifikationen durch bioelektrische Transmission. Leute mit Ihrer Gabe. Empathiker.»
«Wie funktioniert diese Gabe?»
«Sämtliche Empfindungen und die daraus resultierenden biologischen Reaktionen werden im Gehirn ausgelöst. Ist man in einer bestimmten Situation, interpretiert das Gehirn die auditiven, visuellen, taktilen und olfaktorischen Stimuli und sendet Signale an den Körper aus, damit er reagiert.
Empathiker sind in der Lage, Nervensignale im Stadium der Emotionsbildung abzufangen. Außerdem können sie Signale an andere aussenden. Das empfangende Gehirn übersetzt die Signale in Emotionen, die dann Reaktionen im autonomen Nervensystem auslösen. Das führt zu einer physischen Reaktion, die die projizierte Emotion wiederum verstärkt.»
«Aber wie kann ich Signale senden und empfangen? Ich bin kein Radio.»
«Im Grunde doch. Radiowellen sind nur eine Art von …»
«… elektromagnetischer Strahlung», beendete Laszlo den Satz und dachte an die Unterrichtsstunde, die er gehalten hatte, als Darian zum ersten Mal bei ihm in der Schule gewesen war.
«Genau», sagte Dietrich. «Energie mit Wellenlängen, die zu lang sind, als dass man sie sehen könnte. Dieselbe Art von Energie, mit der die Synapsen in Ihrem Gehirn arbeiten. Ihre Synästhesie übersetzt Informationen aus dem Geist anderer Menschen in eine konkrete Empfindung, die Ihnen vertraut ist. In Ihrem Fall: Geruch. Die meisten Menschen haben nur so ein Gefühl für die Emotionen anderer, aber Ihre Wahrnehmung ist viel, viel
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