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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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schrille Gitarren zeigten Wirkung.
    Sie fielen übereinander her wie eine Meute wilder Hunde.
    Carol Williamson (Reporterin, WABC 7) ballte ihre Hand zu einer Faust, schlug nach Michael Eldrich (2. Kamerateam, Fox 5) und hinterließ mit ihrem 1½-Karat-Diamantring eine klaffende Wunde in seinem Gesicht. Sarah Stevens (Produktionsassistentin, CW-11) rammte Stuart Glassman (Sonderberichterstatter, The Enquirer) ihr Knie zwischen die Beine, dass ihm ein Hoden platzte. Richard Oppel (Juniorfotograf, New York Post) versetzte Julie Blum (Kameraassistentin, WNBC 4) einen Kopfstoß und brach ihr die Nase.
    Die anderen machten mit, sie kickten, boxten, krallten und kreischten. Später wusste keiner mehr, wie es dazu gekommen war. Sie erinnerten sich nur an diesen schrillen Ton. Und daran, dass sie im einen Moment noch eine Geschichte im Kasten haben wollten – und im nächsten auf rohe Gewalt aus waren.
     
    Als Winter dem wilden Gedränge zu entkommen versuchte, stürzte sich ein Kameramann auf sie. Ohne weiter nachzudenken, holte sie aus und schlug ihm mit der Faust gegen das Kinn, was ihn kurz außer Gefecht setzte und einer kleinen Blondine Gelegenheit gab, ihn bei der Gurgel zu packen. Bevor der Nächste angreifen konnte, lief Winter über die Sechzigste Straße in Richtung Central Park.
    Sie rannte über die vierspurige Straße. Eine Limousine bremste mit quietschenden Reifen, ein roter Geländewagen kam ins Schleudern und rammte ein schnelles Taxi. Doch Winter rannte immer weiter, sie keuchte in der kalten Luft. Solange sie lief, konnte sie sich auf den brennenden Schmerz in ihren Oberschenkeln konzentrieren, das Beißen in den Lungen und ihr rasendes Herz. Sie wollte nicht daran denken, was
    (sie eben angerichtet hatte)
    gerade passiert war.
    Sie sah sich um, weil sie damit rechnete, dass ihr der wütende Mob auf den Fersen war, doch diese Leute fielen noch immer übereinander her. Im Park versteckte sie sich zwischen den dunklen, kahlen Bäumen. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, und ihr angestrengtes Keuchen kristallisierte zu winzig kleinen Wölkchen.
    Der Anblick von Michaels eingeschlagenem Schädel blitzte vor ihrem inneren Auge auf. Was ging hier vor sich?
    Was hast du anderes erwartet? Ohne das Kreuz, das dich (sie) beschützen könnte?
    Sie befühlte ihren Hals. Es hing alles zusammen. Immer schon hatte sie geglaubt, dass diese Kette ihr Talisman gewesen war. Vielleicht sogar noch mehr. Sie schüttelte den Kopf. Es war verrückt.
    Verrückter als der Umstand, dass deine gesunde, 52-jährige Mutter einen Herzinfarkt erleidet? Verrückter als der Umstand, dass Michael sich in den Tod stürzt, nachdem du ihm in die Augen gesehen hast? Verrückter als eine Prügelei, die im selben Moment losgeht, in dem du aus dem Taxi steigst?
    Aber es war gar nicht genau der Augenblick gewesen, als sie aus dem Taxi stieg. Es war, als der Mikrogalgen sie traf. In dem Moment … als sie wütend wurde.
    Ein kalter Schauer lief Winter über den Rücken. Das war doch unmöglich … oder?
    Trotz der eisigen Kälte lief sie weiter in den Park hinein. Obwohl sie sich mehr fürchtete als je zuvor in ihrem Leben
    (außer während der Flucht).
    Winter tröstete sich damit, dass jemand, der ihr hier im dunklen Park etwas antun wollte, mehr zurückbekommen würde, als ihm lieb war.
    Viel, viel mehr.

INTERLUDIUM IV
17. SEPTEMBER 2007 – 10:09 UHR MITTELEUROPÄISCHE SOMMERZEIT (105 TAGE BIS ZUR NACHT DES JÜNGSTEN GERICHTS)
     
     
    Solothurn presste eine Hand an seine Brust. Unter der blauen Uniform spürte er die runde Scheibe. Immer wieder stellte er sich den geschnitzten Talisman vor, die wundervoll gearbeitete Schlange, die sich selbst in den Schwanz biss. Valentinus nannte das Emblem Ouroboros, ein gnostisches Symbol, das die ewige Inkarnation der Seele darstellte – hoffnungslos gefangen auf der Erde.
    Als sich Solothurns Finger zum ersten Mal um den Rand der Scheibe geschlossen hatten, war ein sanftes Summen durch seinen Körper gegangen, als fasste er einen Elektrozaun an. Es war, als …
    Er hörte Schritte draußen auf dem Gang, nahm eilig Haltung an und stellte die schwere Hellebarde ab. In dem alten Palast gab es so viele moderne Sicherheitsvorkehrungen, dass es im Grunde ein Anachronismus war, vor den Gemächern Seiner Eminenz Wachen mit altmodischen Stichwaffen aufzustellen, doch seine Vorgesetzten glaubten an die Tradition, und zwar genauso, wie sie an alles andere glaubten: mit Inbrunst.
    Auch Solothurn hatte

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