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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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das blinde Einprägen irgendwelcher Fakten ging, sondern um Kunst und Emotionen. Wenn sie spielte, lebte sie.
    Und zum anderen bei Mr. Kuehl. Im Gegensatz zu anderen Lehrern schien ihm das Unterrichten Freude zu machen. Und er war klug. Es gab so gut wie keine Frage, die er nicht beantworten konnte. Und wenn es einem Schüler doch gelang, gab er zu, dass er es nicht wusste, statt irgendwas zu erfinden oder ärgerlich zu werden wie die meisten Lehrer.
    Das Beste war, dass er seine Stunde nicht mit eiserner Faust führte. Sie durften sprechen, ohne die Hand heben zu müssen. Er behandelte seine Schüler wie Erwachsene. Und immer ließ er zu, dass sie vom Thema abschweiften. Zumindest schien es, als schweiften sie vom Thema ab. Doch selbst wenn er so komisches Zeug wie das mit Tesla erzählte, lernte Winter etwas.
    Nicht dass sie Marcy, Tina oder Liz gegenüber hätte zugeben können, dass sie Physik mochte. Wie so vieles andere hätten sie es nicht verstanden.

KAPITEL 7
     
     
    Pater Sullivan starrte das zitternde Mädchen an und betete um Kraft.
    Er nippte am geweihten Wein, er trank vom Blute Christi. Das tröstete ihn. Pater Sullivan bekreuzigte sich, dann wandte er sich dem Mädchen zu, das an den Tisch gefesselt war. Sie starrte ihn an, mit feuchten Wangen, und verzog den bebenden Mund zu einer Miene des Entsetzens.
    So schnell er konnte, tippte Pater Sullivan mit einem Finger an ihre glühende Haut. Sofort wich er zurück – wenn auch erst, nachdem sein Herz kurz stillgestanden und er die grellen Farben gesehen hatte.
    Als er das Kreuz über dem Mädchen geschlagen hatte, hielt er seine Hand in ein kleines geschwungenes Bénetier. Kühl und weich fühlte sich das Weihwasser zwischen seinen Fingern an. Er besprenkelte sich und Pater McKinney. Dann hob er das Bénetier an und hielt es über den Kopf des Mädchens.
    Er zitterte so heftig, dass das Wasser über den Rand des Kelches schwappte und dem Mädchen übers Gesicht lief. Pater Sullivan sah sie an, erwartete beinah, dass ihre Haut gleich qualmen würde. Stattdessen leckte sie sich das Wasser von den Lippen.
    Sie ist durstig.
    Natürlich ist sie durstig. Du hast sie zwölf Stunden schreien lassen.
    Pater Sullivan atmete schwer. Pater McKinney schluckte hörbar und flüsterte:
    «Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Hebe dich von hinnen dorthin! so wird er sich heben.»
    Pater Sullivan erkannte Matthäus 17,20. Es war die Geschichte eines besessenen Jungen. Die Dorfbewohner versuchten, den Dämon zu bannen, aber sie schafften es nicht. Jesus tadelte sie, weil sie ihren Glauben angesichts der Macht des Teufels verloren, und sagte, mit ein wenig Glauben – so klein wie ein Senfkorn – sei Großes zu erreichen.
    Pater McKinney hatte recht. Diese Aufgabe war nur mit starkem, unerschütterlichem Glauben durchzustehen.
    «Danke», flüsterte Pater Sullivan. Er goss etwas Weihwasser über die Stirn des Mädchens und kniete auf dem kalten Steinfußboden nieder.
    Er bat den Herrn um Gnade. Dann betete er zur Litanei der Heiligen um deren Segen. Heilige Maria. Heilige Mutter Gottes. Heilige Jungfrau der Jungfrauen. Heiliger Michael. St. Gabriel. St. Raphael. Alle heiligen Engel, Erzengel und Geister.
    Darauf bat Pater Sullivan den Herrn, sie von aller Sünde zu erlösen. Von Rache. Von den Fallstricken des Teufels. Von Hass. Blitz und Donner. Erdbeben. Epidemien. Hunger. Krieg. Und dem ewigen Tod.
    «Oh, Herr, führe uns nicht in Versuchung.»
    «Sondern erlöse uns von dem Bösen», schloss Pater McKinney.
    Pater Sullivan stand da und schloss die Augen, er bewahrte das Antlitz Jesu fest vor seinem inneren Auge. Als er sich erhob, hob er auch die Stimme – laut und triumphierend.
    «Bring Angst und Schrecken, oh Herr, über das Ungeheuer, das Euren Weinberg verwüstet. Gib Deinen Dienern Mut, mannhaft diesen ruchlosen Dämon zu bekämpfen!
    Vertreibe ihn mit machtvoller Hand aus Deiner Dienerin Jill Willoughby, sodass er dieses Mädchen nicht mehr gefangen hält, welches mit Dir lebt und regiert, im Heiligen Geiste, Gott, für immer und ewig.»
    Gestärkt und zuversichtlich schlug Pater Sullivan die Augen auf und starrte das Ungeheuer an, das ihn böse aus den Augen eines hilflosen Kindes musterte.
    «Ich befehle Dir, unreiner Geist, und allen deinen Helfershelfern, die diese Dienerin Gottes bedrängen – beim Wunder der Fleischwerdung, des Leidens, der Wiederauferstehung und der Himmelfahrt unseres Herrn Jesus Christus –

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