Go West - Reise duch die USA
begann, den Frühstückstisch abzuräumen. »Das wird ein anstrengender Tag. Und heute Abend will ich mit euch tanzen gehen.«
»Tanzen?« Ich reichte Sandy das Geschirr, die es in die riesige Spülmaschine räumte. »Kommen wir dann vorher noch mal nach Hause?«
Liz schüttelte den Kopf. »Nein, das lohnt sich nicht. Aber keine Angst, ihr braucht euch nicht aufzuhübschen. Meine Freundin Angelina hat mir eine Disco empfohlen, wo ihr Bruder immer hingeht. Da geht es locker zu. Wir können mit Sneakers reingehen.«
»Sind da auch Jungs?«
Liz lachte schallend. »Wehe, wenn nicht! Okay, lasst uns gehen. Morgen hab ich übrigens keine Zeit für euch. Ich muss noch eine Menge besorgen für meine Tour.«
»Du hast es gut«, seufzte Sandy. »Das würde ich auch gern machen. Zehn Wochen durch Amerika!«
»Hey!« Lisa stemmte die Arme in die Seiten. »Gefällt es dir etwa nicht bei uns Alten?«
»Doch, doch«, beeilte Sandy sich zu sagen. »Tausendmal besser als zu Hause.«
»Oh, oh, das lass mal nicht eure Mutter hören …«
»Ich meine, als bei uns in Deutschland.«
»Komisch«, sagte George grinsend, »bei uns wollen alle Jugendlichen nach Europa, und wenn sie wiederkommen, meinen sie, da sei es viel besser als hier.«
»Wahrscheinlich ist es interessant, woanders zu sein«, überlegte ich. »Und wenn man dann eine längere Zeit da ist, ist es doch wieder so wie vorher.«
»Aber wir haben keine Freiheitsstatue und kein Empire State Building !«, rief Sandy.
»Und keinen Broadway «, ergänzte Liz. »Na los, lasst uns gehen, wir haben viel vor.«
George klatschte uns ab, als wir das Haus verließen. »Wenn ich euch abholen soll, ruft mich an. Ich finde es nicht so gut, wenn ihr nachts noch mit dem Zug fahrt.«
»Justin nimmt uns mit. Wir treffen uns am Times Square , und er fährt uns zurück.«
George war noch nicht ganz beruhigt. »Hast du dein cell phone dabei?«
»Ja, Daddy«, erwiderte Liz ungeduldig. »Können wir jetzt gehen?«
»Na, dann haut schon ab!« Ihr Vater lächelte gutmütig.
»Wir haben unsere Handys auch dabei«, fügte Sandy hinzu. »Und wir haben eine Ausbildung in Balletttanz, das wehrt jeden Kerl ab!«
Lachend verabschiedeten wir uns und machten uns auf den Weg. Bis zur Penn Station war es die gleiche Strecke, doch von dort nahmen wir die Metro Richtung Süden und stiegen an der Station South Ferry aus.
In der warmen Sonne liefen wir durch den Battery Park , von dem aus man einen wunderbaren Blick auf den Hudson und die Freiheitsstatue hat. Setzt man sich auf eine der Bänke, im Rücken die Wolkenkratzer und voraus der Anblick des in aller Welt bekannten Symbols für Freiheit und Unabhängigkeit, durchströmt einen ein Glücksgefühl. Man wird sich dessen bewusst, was es bedeutet, in Freiheit zu leben und was es heißt, dass es das Schicksal gut mit einem gemeint hat und man zur richtigen Zeit am richtigen Ort geboren wurde. Der Battery Park beherbergt auch das alte Gebäude, in dem früher die Einwanderungsbehörde untergebracht war. Doch den Ansturm der Menschen, die in Amerika ihr Glück versuchen und eine neue Heimat finden wollten, wurde bald derart überwältigend, dass man um 1890 beschloss, die vielen potenziellen Einwanderer in einer weit größeren Einrichtung zu registrieren. Heute würde man das ein Auffanglager nennen. Ellis Island bot sich dafür an, liegt es doch nur ein kurzes Stück von Manhattan entfernt. Als Insel ist es isoliert genug, dass sich niemand heimlich davonschleichen konnte.
»Wir müssen die Fähre nehmen«, sagte Liz und übernahm die Führung zu den Anlegestellen der Circle Line , deren Fähren neben Touren zur Freiheitsstatue, Staten Island und New Jersey auch Ellis Island anfahren. Wir hatten Glück. Da wir früh dran waren, mussten wir nicht allzu lange warten.
Die Amerikaner haben einen wahren Securitywahn entwickelt. Da sich vielleicht ein Terrorist auf eine der Fähren schmuggeln könnte, muss man einen Sicherheitscheck über sich ergehen lassen, der sich bei einem Ansturm von Touristen schon mal ein bis zwei Stunden hinziehen kann, wie Liz uns erklärte. Das versteht man wohl nur, wenn man selbst vor Ground Zero gestanden hat und nicht begreifen kann, was hier geschehen ist. Die Amerikaner übertreiben in vielerlei Hinsicht. Wenn man es in Ruhe überdenkt, dann nützen sämtliche Sicherheitsvorkehrungen nichts, denn ein Terrorist braucht nicht durch die Sicherheitsschleusen zu gehen, wenn er einen Anschlag verüben will. Er kann seinen
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