Go West - Reise duch die USA
Verwundeten, die oft ein Leben lang gezeichnet sind, für die Heimkehrer, die nicht selten das Erlebte nicht verarbeiten können, für die Hinterbliebenen, die ihre Liebsten verloren haben, und für ein Land, das sich nach einem Krieg neu definieren muss. Ich betrachtete diese Namen, und ich fühlte eine tiefe Traurigkeit in mir aufsteigen.
»Was man hier nicht sieht, sind die vielen Opfer auf der anderen Seite«, sagte Liz so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. »Das darf man hier nicht so laut sagen, denn Amerikaner haben ein unglaublich starkes Nationalgefühl.«
»Man kann stolz darauf sein, aus welchem Land man kommt«, meinte Gina. »Aber man darf nicht fanatisch werden.«
»Hm.« Liz holte Luft. »Wenn man ein solches Mahnmal für die vietnamesischen Gefallenen bauen würde, würde es sich vermutlich über die ganze mall ziehen.«
Ich war erstaunt, wie offen Liz darüber sprach. Es war eine Spur Bitterkeit in ihrer Stimme, aber der nächste Satz klang wieder versöhnlich.
»Ich bin froh, dass Amerika und Vietnam heute wieder zueinandergefunden haben. Man besucht sich gegenseitig, und es gibt einige Programme, die ein wenig Wiedergutmachung ermöglichen.«
Schweigend gingen wir weiter. Plötzlich hörte ich hinter mir jemanden schreien: »Attention! Watch out!«
Im gleichen Moment prallte etwas mit voller Wucht gegen meinen Nacken, und ich spürte einen stechenden Schmerz. Panikerfüllt sprang ich beiseite und blickte mich hektisch um. Ich dachte an einen Überfall oder irgendeinen Verrückten, der an diesem Ort wutentbrannt auf Touristen eindrosch. Doch dann sah ich aus den Augenwinkeln heraus etwas davonhüpfen. Ein Eichhörnchen! Mich hatte ein Eichhörnchen überfallen! Das kleine Tier lief leicht angeschlagen über die Wiese und versuchte, den nächsten Baum zu erreichen. Man konnte sehen, dass es sich verletzt hatte und ein Bein leicht nachzog. Ich rieb mir den Nacken und wusste nicht, wie das hatte passieren können. Wann fällt einem schon mal ein Eichhörnchen auf den Kopf? Weit und breit kein Baum, von dem es hätte runterfallen können. Ich musste wohl so dumm aus der Wäsche geguckt haben, dass die anderen Besucher trotz der Ernst gebietenden Umgebung nicht mehr an sich halten konnten und begannen, zu grinsen oder sich die Hand vor den Mund zu halten. Gina, Liz und zwei, drei Leute kamen zu mir und erkundigten sich, ob alles okay sei.
»Ja, ja«, murmelte ich. »Mich hat echt ein Eichhörnchen getroffen … das gibt’s doch nicht!«
»Ich hab gesehen, was passiert ist«, sagte eine Frau und zeigte zum Himmel. »Sehen Sie den Vogel dort? Der hatte sich das Eichhörnchen geschnappt und wollte mit ihm wegfliegen. Aber es hat sich losgemacht und ist dann direkt auf Ihren Kopf gefallen.«
Mit offenem Mund starrte ich dem Greifvogel nach, der unserem heimischen Bussard sehr ähnlich sah. Ich konnte es nicht fassen. Da lief ich ehrfürchtig durch das Vietnam Memorial und wurde von einem Bussard angegriffen, der mit Eichhörnchen feuerte! Ich sah den anderen an, dass sie jeden Augenblick loslachen wollten, es sich aber aus Rücksicht auf die Umgebung verkneifen mussten.
»Tja«, sagte Liz grinsend. »Wahrscheinlich hat sich der Vogel gedacht: Ich lass es lieber frei, ehe sie den Namen des Eichhörnchens auch noch auf die Gedenktafel gravieren.«
Ich versuchte, mir den Schmerz nicht mehr anmerken zu lassen, damit die Aufmerksamkeit der Leute endlich von mir abließ. Aber ich hörte sie überall über mich murmeln und sah, wie der eine oder andere mit dem Finger auf mich zeigte. Na, da hatte ich ja was Tolles erlebt!
»Das vergisst du nie!«, meinte Gina. »Na kommt, lasst uns weitergehen. Ich hab Hunger und könnte was zu futtern gebrauchen.«
So unauffällig wie möglich verließen wir die Gedenkstätte und suchten uns einen der Verkaufsstände, die Hotdogs und Brezeln anboten. Ich kann bis heute nicht glauben, dass das passiert ist. Ist ja auch nicht zu glauben. Ich hoffe nur, dass das Eichhörnchen keine bleibenden Schäden zurückbehalten hat. Aber wer weiß, wenn ich nicht da gestanden hätte, hätte es sich vielleicht noch viel schwerer verletzt.
Wir stärkten uns mit den unvermeidlichen, aber absolut unvergleichlichen Hotdogs und wanderten dann die mall entlang bis zum Washington Monument . Der Obelisk ist der Hammer. Mit einhundertneunundsechzig Metern ist er der höchste der Welt. Wie man so ein Ding baut, möchte ich mal wissen. Im alten Ägypten waren Obelisken die Stein
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