Go West - Reise duch die USA
unglaubliche Anzahl der auf ihm Begrabenen so brutal näherbringt, macht man es nicht, weil man so erzogen worden ist, sondern weil einen die Erkenntnis der vielen Schicksale unmittelbar trifft. Als ich aus dem Wagen stieg, dachte ich bei mir: das ist die Endgültigkeit. Das Wissen um das Sterben. Wenn man siebzehn ist, denkt man nicht ans Sterben. Nur ans Leben, ans Feiern, die Schule, die Jungs und was man nächsten Samstag anstellt. Doch wenn ihr siebzehn seid und nach Arlington kommt, wird euch die Endlichkeit des eigenen Seins bewusst. Ich hab mich gefragt, wozu es Soldaten gibt. Warum es auch nur einen Menschen auf der Welt gibt, der in irgendeinen Krieg zieht. Dabei liegen in Arlington nur wenige gefallene Soldaten begraben. Die meisten sind in der Fremde für eine angeblich gute Sache gestorben. Sie sind überall auf der Welt getötet und irgendwo verscharrt worden. Doch hier auf diesem Friedhof werden sie sichtbar, stehen auf und mahnen.
Schweigend folgte ich den anderen, die sich mit Informationsmaterial und einem Plan vom Gelände eindeckten.
»Zuerst zu John F. Kennedy?«, fragte Frank.
Wir nickten nur schweigend. Während wir den Hauptweg entlanggingen, las uns Frank aus dem Prospekt vor. »Das Gelände des Friedhofs umfasst zweihundertzweiundfünfzig Hektar! Pro Jahr finden hier etwa fünftausendfünfhundert Beerdigungen statt.« Er kratzte sich am Kopf. »Das ist ja unfassbar! Da muss doch selbst diese riesige Fläche irgendwann nicht mehr ausreichen. Hier steht, dass es seit der Gründung mehr als zweihundertsechzigtausend Beisetzungen gegeben hat. Könnt ihr euch das vorstellen?«
Das konnten wir nicht. Zweihundertsechzigtausend Tote lagen hier. Und ich wanderte zwischen ihnen umher. Ein mehr als mulmiges Gefühl überkam mich. Dann standen wir vor dem Grabmal John F. Kennedys. Eine offene Flamme brannte in einem kreisförmig angelegten flachen Ring. Ich stand davor, und mir schossen viele Bilder durch den Kopf. Dieser Mann ist bald dreimal so lange tot wie ich auf der Welt bin. Aber irgendwie sind dieses markante sympathische Gesicht und die Dramen, die mit dem ehemaligen Präsidenten verbunden sind, so einprägsam, dass ich die Ereignisse in meinem Geist wiederaufleben ließ, als ich da stand. Ich hatte den Film von Oliver Stone über das Attentat auf Kennedy und auch eine Dokumentation über die Kubakrise gesehen. Zu Beginn der 60er-Jahre setzten die Menschen auf einen Mann mit Charisma, mit Energie und Entschlusskraft, nicht mehr auf jemanden wie Joseph McCarthy, der die Bevölkerung in den 50er-Jahren beinahe wie in einem Ostblockland unterdrückt und ausspioniert hatte. Senator McCarthy hatte das Misstrauen gegen den Kommunismus nahezu in einen Wahn gewandelt, der sich letztendlich gegen die eigene Bevölkerung gerichtet hatte. Kennedy hingegen zeigte Stärke nach außen und Überzeugungskraft nach innen. Wenn es stimmt, was Zeitzeugen sagen, dann war die Welt während der dreizehn Tage der Kubakrise so nah an einem Atomkrieg wie nie zuvor oder danach. Ich weiß noch, dass ich einige Minuten, nachdem der Filmbericht über dieses Drama zu Ende war, einfach nur dasaß und darüber nachdachte, was wohl geschehen wäre, wenn die Schiffe der Sowjets damals nicht beigedreht hätten.
Dadurch, dass Kennedy als Sieger aus diesem Konflikt hervorgegangen war, wurde er zum Mythos. Die Bevölkerung liebte ihn, vielleicht auch deshalb, weil er starke Ausstrahlung hatte.
»Durch seinen Tod wurde er unsterblich«, sagte Frank an meiner Seite leise.
»Ja«, bestätigte Gina. »Es gibt nur wenige, die einem aus dem Schulunterricht im Kopf bleiben. Aber Kennedy steht an erster Stelle.«
Frank gab sich einen Ruck. »Lasst uns ein Stück weitergehen. Sein Bruder Bobby und auch Ted Kennedy liegen in der Nähe begraben. Auch seine Frau Jaqueline. Man sagt, dass Robert, obwohl er der Jüngere war, eine maßgebliche Rolle bei den Entscheidungen seines Bruders gespielt hat.«
»Warum heißt es eigentlich, dass ein Fluch auf der Familie Kennedy liegt?«, fragte Gina, als wir die übrigen Gräber suchten.
»Das weiß ich nicht«, gab Frank zu. »Als Präsident ist man immer gefährdet. Ruhm und Macht erzeugen Neid. Aber du hast recht, die Kennedys haben ein schweres Schicksal zu tragen. Es waren ja nicht nur Attentate, sondern auch Unfälle, die die Familie getroffen haben.«
»Ohne diese Tragik wären sie vielleicht nicht so im Gedächtnis der Menschen geblieben«, meinte Liz.
Wir schlenderten von einem
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