Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)
drehte unter leisen Blaslauten einige Runden, bis der Junge sich lange genug ausgeruht hatte.
Trotzdem konnte sich Hylas schließlich vor Erschöpfung nicht mehr auf der Planke halten. Er nahm noch undeutlich wahr, wie er ins Meer rutschte, und wusste, dass er zu schwach war, um auf die Planke zurückzukrabbeln. Filos schien es ebenfalls zu ahnen, denn er tauchte unter Hylas, als wolle er ihm seinen Rücken anbieten.
Ohne nachzudenken griff der Junge mit beiden Händen nach der Rückenflosse – wobei er darauf achtete, die weiche, graue Haut nicht mit der Klinge zu berühren – und Filos zog ihn sanft in Richtung Land.
Die Küste näherte sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Benommen nahm Hylas einen Bergkamm wahr, der einem Eberrücken ähnelte, und dunkelrote, vom Vogelkot weiß gestreifte Klippen.
Er meinte, die gutturalen Rufe der Kormorane zu vernehmen und dazu ein zweites, kaum vernehmbares Geräusch, einen schwachen, leicht unheimlichen, gurgelnden Singsang.
Eine Brise strich über die See und malte dunkle Flecken auf die Wellen. Es sah aus, als ginge ein Unsichtbarer übers Meer und hinterließe Fußspuren.
Filos hielt auf eine Landzunge zu, und Hylas erblickte für einen Augenblick einen schattigen Höhleneingang, aus dem der merkwürdige Gesang ertönte. Was war das für ein Ort?
Die Worte des sterbenden Keftiu kamen ihm in den Sinn. Das Meervolk bringt dich zu seiner Insel … Dort gibt es fliegende Fische und singende Höhlen … laufende Hügel und Bäume aus Bronze …
Aber als Filos ihn schließlich in eine weite, ruhige Bucht trug, richtete sich Hylas’ ganze Aufmerksamkeit auf das, was vor ihm lag. Kleine Wellen schwappten über die weißen Kiesel, das Wasser schimmerte hellblau.
Unter seinen Fußsohlen spürte er Sand. Sand! Erleichtert stöhnte er auf, ließ Filos los und ließ sich in das glitschige, dunkelrote Seegras fallen. Dann schleppte er sich ans Ufer und brach am Strand zusammen.
Bevor er das Bewusstsein verlor, hörte er noch, wie Filos am Ufer hin und her schwamm und dabei mit leisem Pfft atmete …
P irra hatte noch niemals einen Vogel gesehen, der unter Wasser schwamm. Sein Gefieder war schwarz, seine Augen waren grün. War es ein magisches Tier, das hier auf diese Insel gehörte, oder gab es womöglich viele solcher Vögel, die unter Wasser schwimmen konnten, und niemand hatte ihr je davon erzählt?
Mit knurrendem Magen beobachtete sie neidisch, wie der Vogel mit einem Fisch im Schnabel auftauchte und seinen Fang mit einem Bissen verschlang. Ein Tag und eine Nacht waren vergangen, seit der Fischer sie hergerudert und ihr nur einen Trinkschlauch und ein paar getrocknete Äschen als Proviant gegeben hatte. Abgesehen davon hatte sie bloß eine Handvoll staubiger Salbeiblätter gekaut.
Auf Keftiu hatte sie niemals über Essen nachdenken müssen. Sobald sie Hunger verspürte, hatte sie nur in die Hände geklatscht, schon hatte ein Sklave die köstlichsten Gerichte aufgetragen: in Fett ausgebackene Käsebällchen mit Sesamkruste, gegrillten, mit Sauerampfer gefüllten Tintenfisch, in zerdrückten Walnüssen und Honig gewälztes Feigengebäck.
In den Felstümpeln flitzten zwar etliche Fische umher, doch sobald sie sich vorbeugte und einen erhaschen wollte, waren sie verschwunden. Pirra staunte nicht schlecht, dass Fische sich bewegten. Sie kannte die Tiere nur von Wandgemälden auf Keftiu oder fertig zubereitet auf ihrem Teller liegend.
Die Insel wirkte abweisend und feindselig. Seevögel kreischten sie bösartig an, und scharfkantige Steine bohrten sich in ihre Fußsohlen. Das Meer wogte unaufhörlich in die schmale Bucht, in der sie Zuflucht gefunden hatte, die aufsprühende Gischt brannte auf ihrer Wunde. Sie wagte es jedoch nicht, ihr Lager an dem breiten, geschwungenen Sandstrand auf der anderen Seite der Landzunge aufzuschlagen. Sie musste sich verstecken, falls ihre Mutter oder die Krähen sie verfolgten. Sie vermisste Userref, auch wenn das vermutlich nicht auf Gegenseitigkeit beruhte, denn ihre Flucht hatte ihm bestimmt reichlich Ärger eingebracht.
Es war schrecklich, sich so hilflos und verängstigt zu fühlen. Außerdem war sie schlecht ausgerüstet, hatte weder Sandalen noch einen Umhang bei sich und daher auch keinen Sonnenschutz bei Tag und nichts Wärmendes in der Nacht. Sie hatte natürlich auch keine Ahnung, wie sie ein Feuer wecken sollte. Davon abgesehen fand sie es unheimlich, im Freien zu übernachten. Die vielen unbekannten Geräusche machten ihr
Weitere Kostenlose Bücher