Godspeed | Die Ankunft
stellt Bartie fest, doch seine Betroffenheit ist nur gespielt.
»Wie überaus schade«, bestätige ich, ohne eine Miene zu verziehen.
»So ein grandioses Kunstwerk.«
Ich nicke weise. »Aber es ist ein Opfer, das wir bringen müssen.«
Jetzt kann Bartie seine falsche Ernsthaftigkeit nicht mehr aufrechterhalten und fängt an zu grinsen. »Komm, lass uns loslegen!«, verlangt er aufgeregt.
Mit dem Karren eilen wir den Pfad entlang, der vom Krankenhausgarten an der Bibliothek vorbeiführt; aber etwas von der Vorfreude auf den Spaß, den wir beim Zertrümmern der Statue haben werden, verfliegt, als mir klar wird, dass ich die
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nie wieder sehen werde, wenn ich sie diesmal verlasse. Ich bin diesen Pfad unzählige Male entlanggelaufen. Ich bin mit Harley und Kayleigh hier spazieren gegangen, als sie beide noch da waren. Mit Bartie und Victria bin ich oft hierhergerannt. Am Teich habe ich Amy zum ersten Mal geküsst, im »Regen«.
Ich werde das alles vermissen. Ich dachte, dass ich mich bei meiner Abreise von der
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verabschiedet hätte, aber jetzt wird mir klar, dass ich mich immer darauf verlassen habe, dass die
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weiterhin da sein würde, dass ich zu ihr aufschauen und sie sehen könnte wie ein Leuchtfeuer am Sternenhimmel, das mir zeigt, wo früher einmal mein Zuhause war. Aber diesmal wird es ein Abschied für immer sein.
Bartie und ich müssen den Karren die letzten Meter schieben. Bartie verankert den Karren am Boden, damit er nicht in die Schwerkraftröhre gezogen wird, und aktiviert dann die Röhre, auf halbe Kraft zu arbeiten. Die Sogwirkung hebt die Statue ein paar Meter an, was ausreicht, um den Karren wegzuziehen.
»Überlässt du mir die ehrenvolle Aufgabe?«, fragt Bartie grinsend.
»Aber gern.« Ich aktiviere meine Dra-Kom. In meinem Ohr erklingt das vertraute
Biep, biep-biep
, und obwohl ich mich danach gesehnt habe, es noch einmal zu hören, klingt es irgendwie fremd. »Schwerkraftröhre an, Materialtransport zum Technikdeck«, sage ich.
Die Röhre schaltet auf volle Leistung und die Statue zischt los.
»Wir sollten lieber in Deckung gehen«, sagt Bartie und zieht mich hinter den Karren. »Die Trümmer werden in der ganzen Gegend rumfliegen!«
Die Statue steigt höher und höher, und in der Kurve schrammt der Beton an dem klaren Kunststoff entlang, denn die Röhre folgt in ihrem Verlauf der Rundung der Wand.
Ich aktiviere erneut die Dra-Kom. »Schwerkraftröhre
aus
«, befehle ich.
»Warnung: Zurzeit findet ein Materialtransport statt. Ältester übernimmt?«, fragt mich die angenehme Computerstimme in meinem Ohr.
»Ältester bestätigt«, verkünde ich grinsend. »Schwerkraftröhre aus.«
Das vertraute Rauschen der Röhre bricht abrupt ab. Bartie und ich schauen gespannt nach oben. Die Statue verharrt einen Moment in der Schwebe, dann beginnt sie zu fallen. Sie dreht sich um sich selbst, und wo ihre Kanten gegen das Plastik der Röhre prallen, bricht es. Auf dem geraden Teil der Röhre wird die Statue immer schneller und ist jetzt nur noch als abwärtssausendes grauschwarzes Etwas zu erkennen.
KRAWUMM !
Die Statue kracht auf die Basis der Schwerkraftröhre und explodiert förmlich. Grauer Staub und Betonbrocken fliegen in alle Richtungen. Bartie und ich ziehen hinter dem Karren den Kopf ein, um nicht von diesem Schuttregen getroffen zu werden. Noch bevor sich der Staub gelegt hat, springe ich auf und stürze mich in das Trümmerfeld.
Zwischen den Betonbrocken und Plastiksplittern liegt ein glänzender silberner Kasten. Ich greife danach – der Schweiß lässt den grauen Staub auf meinem Handrücken haften.
»Was ist es?« Bartie klingt vor Aufregung ganz atemlos.
Ich öffne den Verschluss und der Deckel des Kastens geht mit einem leisen Quietschen auf.
Darin befindet sich eine alte Videoaufzeichnung mit einem kleinen Abspielgerät, wie man es vor der Erfindung der Floppys verwendet hat. Es ist ungefähr so groß wie meine beiden Hände nebeneinander, fast zwei Zentimeter dick und ziemlich schwer. Darunter liegt ein kleines, in Leder gebundenes Buch. Die Seiten sind vergilbt, aber die Schrift ist noch deutlich zu erkennen. Es scheint sich um irgendeine Formel und wissenschaftliche Notizen zu handeln.
»So was habe ich schon ewig nicht mehr gesehen«, sagt Bartie und nimmt das Abspielgerät mit dem kleinen Bildschirm in die Hand. »Ich glaube, ein paar von den alten Dingern liegen noch im Archiv der Bibliothek.«
Bartie hat recht. Diese Technik hat schon lange
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