Godspeed | Die Ankunft
stockdunkel.
»Gute Nacht, Schatz«, ruft Mom schläfrig.
»Nacht«, murmele ich und starre den Schlafsack an, durch dessen Nylongewebe ein mattes Glühen dringt.
Mein erster Gedanke ist, Emma aufzusuchen. Aber ich weiß nicht, in welchem Haus sie ist, und ich will mit dem Würfel kein Aufsehen erregen. Sie hat so getan, als wäre er ein Riesengeheimnis, ein wichtiger Hinweis auf diese Welt.
Ich muss wieder an die Glasscherben in Kits Wunde denken. Wenn dieser Glaswürfel mein Zimmer beleuchten kann, muss
irgendeine
Form von Energie darin enthalten sein. Wenn er explodierte …
Ich starre entsetzt auf die Stelle, an der ich den Würfel fallen gelassen habe. Wenn er kaputtgegangen wäre, hätte es mir dann die Beine weggesprengt, wie es Kits Brust aufgesprengt hat?
Ich muss Junior davon erzählen.
Aber bevor ich hinausschleiche, vergewissere ich mich, dass die Achtunddreißiger an meinem Gürtel geladen und entsichert ist. Dann rolle ich meinen Schlafsack zusammen und werfe ihn aus dem Fenster, froh, dass die Füllung das Geräusch dämpft. Ich stütze beide Hände auf das Fensterbrett und stemme mich hoch. An der viereckigen Vertiefung im Stein schürfe ich mir das Knie auf und hätte beinahe vor Schmerz laut losgeflucht.
Ich husche durch die Schatten. Junior und ich waren uns in letzter Zeit nicht immer einig, weil uns unsere Sorgen und die Menschen, die uns nahestehen, in verschiedene Richtungen gezerrt haben. Aber wenn es etwas Neues gibt, ist er der Erste, an den ich mich wende. Er ist der Einzige, dem ich traue. Es ist noch nicht richtig dunkel, aber nach Kits Tod wagt sich nach der Sperrstunde niemand mehr nach draußen. Chris bewacht die untere Ebene, und ich bin so in Gedanken, dass ich ihm beinahe in die Arme gelaufen wäre. Ich schaffe es nur knapp, hinter einer Mauerecke in Deckung zu gehen, und halte den Atem an. Er hat keine Taschenlampe dabei, geht aber trotzdem vollkommen sicher den dunklen Steinweg entlang. Ich zähle bis zehn, verlasse dann mein Versteck und renne die Stufen zu Juniors Haus hoch.
Junior ist noch wach und geht im Raum auf und ab. Er schaut auf und grinst. »Ich habe mich schon gefragt, wie ich deine Aufmerksamkeit erregen kann«, sagt er.
»Psst«, zische ich und werfe einen hektischen Blick zur Tür. Der Beinahezusammenstoß mit Chris hat mich nervös gemacht. »Lass uns nach oben gehen.«
Die staubigen Gebäude sind alle nahezu identisch – ein großer Raum im Erdgeschoss und darüber zwei kleinere, die durch eine Steintreppe zu erreichen sind. Dad nutzt unser Obergeschoss als Lager, und als ich ihm geholfen habe, die Sachen hochzutragen, ist mir aufgefallen, dass das hintere Zimmer, das an der Hügelseite, kein Fenster hat. Sehr viel Privatsphäre gibt uns das zwar auch nicht, aber besser als nichts.
»Was ist los?«, fragt Junior, als er mir nach oben folgt.
Ich betrete den fensterlosen Raum und lege den Schlafsack auf den Boden. Dann greife ich hinein und hole den Glaswürfel heraus. »Den hat Emma mir gegeben«, sage ich.
Junior betrachtet den Würfel fasziniert. Er dreht ihn in meiner Hand um und die Schatten tanzen chaotisch über die Wände. »So etwas habe ich schon einmal gesehen. Emma und …« Er sieht mir in die Augen. »Emma und dein Dad hatten das Ding in der ersten Nacht nach der Landung bei sich.«
»Sie hat es mir gegeben. Und es sieht aus wie das Glas, das wir in Kits Wunde gefunden haben.« Das Licht sorgt für dunkle Schatten, die Juniors Gesicht gruselig und schwer durchschaubar wirken lassen.
Junior legt eine Hand auf den Würfel, und das Licht scheint durch seine Haut, die dadurch rot schimmert. »Wie funktioniert das?«, fragt er.
Ich denke daran, wie der Sand unter dem Shuttle nach unserer Landung geglüht hat. Glas besteht aus geschmolzenem Sand und der Raketenantrieb des Shuttles hat sich in die Erde gebrannt. Und die hat daraufhin nachts geglüht wie dieser Würfel.
»Sonnenenergie?«, frage ich zögernd. »Wird das Licht der Sonnen in diesem Glas eingefangen?«
»Kann sein.« Junior dreht den Würfel in der Hand, als suchte er nach einem An/Aus-Schalter.
»Diese viereckigen Vertiefungen in den Fensteröffnungen«, sage ich und reibe mir das aufgeschürfte Knie. »Die, von denen wir dachten, dass sie für irgendwelche Götterfiguren waren. Sie haben die perfekte Größe für diesen Würfel.«
Junior fährt mit einer Hand über die glatte Oberfläche. »Man legt den Würfel morgens ins Fenster, damit er sich tagsüber mit Licht
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