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Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenpforte Die
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sich, da wurde es vollkommen schwarz. Unwirklich finster. So als hätte jemand in einem fensterlosen Raum alle Lampen ausgemacht. Und im nächsten Moment explodierte um sie herum ein Inferno grauenvoller Erscheinungen.
    Fratzen mit Feueraugen schwebten im Unterholz. To tenköpfe rollten zwischen den Bäumen umher. Überall schaukelten Gehenkte an Ästen. Manche von ihnen schienen noch am Leben und stöhnten zombiemäßig vor sich hin. Andere waren längst zu blanken Skeletten zerfallen, mit modrigen Seilen um ihre Knochenhälse. Aus Baumstümpfen sickerte Blut in unglaublichen Mengen. Fledermäuse schwebten mit rasendem Flügelschlag darüber und schlürften von den roten Rinnsalen. In Büschen seufzten verwunschene Mädchen, und nun begann auch noch eines von ihnen, gellend um Hilfe zu schreien. Billa blieb vor Angst das Herz fast stehen. Und dann wurde ihr klar, dass sie selbst dieses Mädchen war.
    In Panik fuhr sie herum, wollte zurück zur Lücke im Zaun kriechen. Aber da war überhaupt kein Zaun mehr, kein Loch, kein sonnenbeschienener Weg dahinter. Sie drehte sich um sich selbst, kroch hierhin und dorthin, und überall war nur noch Dickicht, Dunkelheit. Mit Heulen und Winseln, Schreien und Stöhnen, mit Fratzen und Er scheinungen vollgestopfte Finsternis – als ob jemand ihr einen schwarzen Sack voller Gespenster über den Kopf gestülpt hätte.
    Glücklicherweise fiel Billa da wieder der Fingerhut ein. Mit zitternden Fingern fischte sie das rostige Ding aus ihrer Jeanstasche und steckte es sich auf den linken Zeigefinger. Wow! Es wirkte wie ein Dimmer. Die Dämonen, oder was es sein mochte, wichen ins Dickicht zurück. Das Geheul und Gewinsel wurde leiser, die Gehenkten und Horrorfratzen verblassten zu Schatten. Außerdem spürte Billa ein unverkennbares Ziehen in ihrem linken Zeigefinger – so als ob ein unsichtbarer Helfer sie bei der Fingerspitze gepackt hätte, um sie ganz sachte durch Spuk und Sumpf zu ihrem Ziel zu führen.
    Nicht, dass es unterwegs an schauerlichen Schreckensbildern gemangelt hätte. Ein halb vermoderter Knochenmann schlich den ganzen Weg bis zum Hexenhügel neben Billa her. Manchmal fiel er in ein Moorloch, dann heulte er grausig, bis er sich wieder aus dem Schlamm hervorgekämpft hatte und aufs Neue mit rasselndem Brustkorb neben ihr durchs Unterholz taumelte. Ein Totenschädel mit aufgemalter Menschenfresserfratze schwebte in geringem Abstand hinter ihr und gab dabei leise Klagelaute von sich. Und in jedem Busch am Wegesrand hauste ein heulendes oder seufzendes Mädchen, und wenn Billa die prallroten Beeren auf diesen Büschen genauer ansah, waren es zitternde Tropfen aus Blut.
    Aber der Fingerhut wies ihr getreulich durch all diese Schrecken den Weg. An ihrer Fingerspitze spürte sie die Lehmkrümel, die sich mit ihrem Angstschweiß zu einem warmen Schleim vermischt hatten. Eklig, na klar – und doch hätte sie den rostigen Fingerhut um nichts auf der Welt hergegeben oder auch nur für einen winzigen Moment abgezogen. Im Gegenteil – alle paar Augenblicke vergewisserte sie sich, dass er noch sicher dort saß, wo er hingehörte. Und es machte ihr Sorgen, dass sie den Schleim aus Lehm und Schweiß an ihrem Finger runterlaufen fühlte. Wenn der Hexenlehm verbraucht wäre, bevor sie ihr Ziel erreicht hätte, würde der Hardcore-Spuk von Neuem losgehen. Mitten im Hexenholz würde sie die Orientierung verlieren und hilflos in der Wildnis herumirren, bis sie vollkommen entkräftet wäre oder in einem Moorloch versinken würde.
    Aber der Fingerhut führte sie weiter und weiter und schließlich sah Billa vor sich den Hexenhügel. Schroff ragte er zwischen den Bäumen auf, mit der Tempelruine oben drauf, die tatsächlich wie ein weit aufgerissenes Drachenmaul aussah.
    »Geh in das Drachenmaul rein«, hatte Sina zu ihr gesagt. »Nimm dir ein paar kräftige Äste vom Platz vor dem Tempel mit. Ganz hinten in der Ruine führt ein Gang steil abwärts. Vorsicht, glitschig! Hangle dich da runter. Ganz unten ist das Auge. Du kannst es auch einfach als einen unterirdischen Brunnen ansehen. Nenn das Ding, wie du willst, Billa – Hauptsache, du machst da unten, was ich dir aufgetragen habe.«
    Während sie in Gedanken nochmals hörte, wie Sina auf sie einredete, kletterte Billa den Hexenhügel hoch. Seit 333 Jahren war niemand mehr hier herumgelaufen –jedenfalls keine menschenähnlichen Kreaturen mehr. Der Hügel war auf allen Seiten kniehoch mit Unterholz bedeckt, mit Gestrüpp überwuchert.

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