Gößling, Andreas
dunkler, fast schwarzer Farbe, doch von innen her leuchtend und mit gelben Schlieren durchzogen. Obenauf tanzte ein Flämmchen von so strahlendem Blau, dass es fast in den Augen wehtat.
Der Großmächtige Meister rief weitere absonderliche Worte und da löste sich die Lichtwolke vom Feuerturm und schwebte zu Odilo hinüber. Der »arme Freund« stand zwei Handbreit neben der Flammensäule, doch er schien nicht im Geringsten mitzubekommen, was um ihn herum geschah.
Die Lichtwolke hatte nun die Form einer schlanken, aufrecht stehenden Walze und sie drehte sich rasend schnell um sich selbst. Für die Dauer eines Wimpernschlags schwebte sie über Odilos Kopf – dann schoss sie auf ihn herunter und verschwand mitsamt dem blauen Flämmchen hinter seiner Stirn.
Im nächsten Moment erwachte Odilo aus seiner Erstarrung. Er sah nach links und rechts und ein Lächeln belebte sein Gesicht. Es war immer noch das Gesicht eines Idioten, und als er eine Hand hob, überlief ihn ein unbeherrschtes Zucken wie sonst auch. Und doch wirkte er auf wundersame Weise verwandelt, noch bevor er zu sprechen begann.
»Seid mir gegrüßt, ehrwürdige Brüder«, sagte er mit wohlklingender Stimme. Ein Stöhnen ging durch die Loge – vor Anspannung, aber mehr noch vor Erstaunen: Niemals vorher hatte ein Dämon durch Odilo gesprochen. Bei früheren Gelegenheiten hatten die Geister ihn allenfalls dazu gebracht, mit Kohle oder Kreide etwas auf dem Boden aufzumalen. »Ich bin der Planetengeist Zenturius«, sprach es weiter aus ihm. »Solange ich die Macht über Odilos Leib ausübe, vermag er wie der weiseste Prophet zu handeln und zu sprechen. Nur zu, Brüder«, ermunterte er die Versammelten, »stellt ihn auf die Probe!«
Die Männer wechselten beklommene Blicke. Schließlich gab sich einer der Wächter einen Ruck und hob die Hand. »Eine schwere Sorge bedrückt mich«, sagte er zu Odilo. »Wenn du weißt, was ich meine, so rate mir, was ich tun soll.« Es war der Stadtbäcker von Croplin, ein stattlicher, wohlhabender Mann, der mit bürgerlichem Namen Heribert Wulf hieß.
Odilo – oder Zenturius – machte eine gebieterische Handbewegung und zwei der Lichtträger traten zur Seite. Vor ihm öffnete sich eine Gasse – die Männer wichen zurück, als ob sie sich vor ihm fürchteten. Er schritt aus dem magischen Kreis heraus und ging auf Wulf zu. Nach wie vor sah er ganz genau wie der wohlbekannte »arme Freund« Odilo aus. Doch seine Bewegungen wirkten nun vollkommen kontrolliert, geradezu herrisch. Von seinen Augen, deren Blick sonst immer trübe und unstet war, ging ein Strahlen aus, wie Julian es von Engel- und Heiligenbildern kannte.
»Jemand bestiehlt dich, Bruder Heribert«, sagte er mit melodisch tönender Stimme. »Seit einem halben Jahr fehlen dir jeden Monat erkleckliche Geldbeträge in der Kasse – mal ein Taler, mal ein halber Dukaten. Aber aus Angst, einen Unschuldigen zu bezichtigen, hast du bisher keinen deiner Gesellen oder Lehrlinge zur Rede gestellt. Dabei ahnst du längst, wer der Missetäter sein muss.«
Er blieb vor Heribert Wulf stehen und sah ihm ins Gesicht. »Wenn du es weißt«, sagte der Bäcker und senkte den Blick, »so nenne mir seinen Namen.«
»Es ist dein Lehrjunge Piet. Er nutzt dein Vertrauen schamlos aus. Schaue unter der losen Diele neben seinem Lager nach – dort wirst du den Schatz finden, den er dir gestohlen hat.«
Der Bäckermeister stand mit hängenden Schultern vor Odilo. »Was soll ich tun?«, fragte er. »Piet ist für mich wie ein Sohn. Ich will ihn nicht verlieren.«
»Er ist ein Dieb und Lügner. Du musst dich von ihm befreien, Bruder Heribert: Zeige ihn bei der Obrigkeit ein. Der Richter wird ein gerechtes Urteil über ihn sprechen.«
Der Bäcker Wulf dankte Odilo. Er wirkte erschüttert, aber zugleich schien eine Last von ihm abzufallen. Weitere Brüder folgten nun seinem Beispiel. Sie befragten den hellsichtigen Geist Zenturius, und Odilo ging von einem zum anderen und riet ihnen, wie sie ihre Probleme lösen konnten.
Der Famulus aber hatte Mühe, den Geschehnissen länger zu folgen. In seinem Inneren tobte ein Aufruhr, den er sich nicht erklären konnte. Piet war sein Freund, und er mochte nicht glauben, dass der Bäckerlehrling seinen Lehrvater bestohlen hatte. Aber nicht deshalb fühlte er sich derart beunruhigt und aufgewühlt. Eine innere Stimme schrie regelrecht auf ihn ein. Das können die doch mit dem armen Kerl nicht machen, zeterte sie. Odilo kann sich ja nicht wehren, er
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