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Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenpforte Die
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geschlichen. Hatte ihm aufgelauert, ihn beobachtet – aus welchem Grund? Klar, es hatte ihm geschmeichelt, aber glaubte er ernsthaft, dass sie sich einfach so in ihn vergafft hätte? Liebe auf den ersten Blick – durch ein Hinterhoffenster, an dem sie zufällig vorbeigekommen war?
    »Na ja, es geht um so ’ ne Erbschaftssache«, sagte er und versuchte, mindestens so cool wie Billa zu klingen. »Das Haus hat einem Verwandten von mir gehört und der ist vor Kurzem gestorben und hat diesen Logenbrüdern alles vererbt. Ich hab sie besucht, weil – meine Mutter und ich sind chronisch pleite. Wir hatten gehofft, dass mein Onkel – ich meine, mein Urgroßonkel …« Er unterbrach sich wieder. »Ziemlich komplizierte Geschichte, wie gesagt.«
    Sie blieb plötzlich stehen, wohl oder übel musste er ihrem Beispiel folgen. »Urgroßonkel?« Sie lachte ihr heiseres kleines Lachen. »Wie alt war der gute Mann denn, als er den Löffel abgegeben hat?«
    Marian zuckte mit den Schultern. Es ärgerte ihn, dass sie in so einem Ton über Marthelm sprach. »Ziemlich alt«, sagte er nur.
    Gedankenverloren folgte er Billas Blick, und dann sagte er erst mal gar nichts mehr: Sie standen direkt vor der Apotheke »Am Bürgerspital«. Genau diese beiden ausgetretenen Steinstufen war er erst letzte Nacht zur Ladentür hochgestiegen – besser gesagt: vor 333 Jahren und in der Gestalt und Kleidung des Famulus Julian Hallthau. Aber wie konnte Billa davon wissen – oder war es reiner Zufall, dass sie gerade hier mit ihm stehen geblieben war?
    »Willst du da rein?«, fragte Billa. Sie sah aus, als ob sie sich über ihn lustig machte. Nur so ein bisschen, aber es gefiel ihm trotzdem nicht. Ganz und gar nicht. Dafür gefiel sie ihm immer besser – am liebsten hätte er seine Hand gehoben, um ihr über die Haare zu fahren. Wetten, dass die elektrisch knistern, wenn man sie so ganz leicht berührt?
    »Wieso ich – du bist doch hier stehen geblieben.« Aber dann wurde ihm das Spiel zu blöd. Er zuckte mit den Schultern und ging die Stufen hoch. »Bin gleich wieder da«, sagte er und drückte die Tür auf.
    Anstelle der mechanischen Glocke von damals gab es heute eine elektrische Klingel, klar. Aber sonst sah der Laden noch ziemlich genauso aus wie vor 333 Jahren. Die deckenhohen Regale und Schränke aus dunklem Holz. Darin die bauchigen Glas- und Emaillebehälter, die allerdings wohl nur noch zur nostalgischen Verzierung dienten. Aber sogar die Bodenplatten mit den kleinen blauen Blumenmustern sahen aus wie die Kacheln, über die er letzte Nacht gelaufen war. Nur älter, ausgeblichen und teilweise zerbrochen.
    Er stand mitten in dem Laden und konnte nichts gegen die Gänsehaut machen, auf seinen Armen, auf dem Rücken. Durch eine Tür hinter dem Tresen kam ein Mann von unauffälligem Aussehen, in weißem Kittel – keine Familienähnlichkeit mit Julians Lehrherrn.
    Er versuchte es trotzdem. »Herr Lohenkamm?« Der Apotheker starrte ihn nur an. »Entschuldigung«, beharrte Marian, »heißen Sie Lohenkamm?«
    »Nein, bedaure. Mein Name ist Grabhauer.« Der Apotheker runzelte die Stirn. »Friedrich von Lohenkamm – so hieß doch der Mann, der diese Apotheke vor, äh, zweihundert Jahren …«
    »Mehr als dreihundert sogar«, fiel ihm Marian ins Wort. »Dürfte ich vielleicht mal einen Blick in Ihren Keller werfen?«
    »Was willst du denn da?« Billa stand direkt hinter ihm und pustete ihm ihren Atem in den Nacken.
    Seine Gänsehaut wurde noch stärker. Aber diesmal war es ein Schauder ganz anderer Art. Höchst angenehm.
    »Das frage ich mich auch«, sagte der Apotheker. Er kam langsam hinter seinem Tresen hervor. »Du machst dich wohl lustig über mich, Bürschlein?«
    »Bestimmt nicht«, versicherte Marian. Mit drei Schritten war er bei der Tür zur Kellertreppe. Den Weg kannte er ja, und auch wenn die Tür erneuert worden war – die Stufen dahinter waren dieselben, die Jungfer Hildegunde auf nackten Füßen auf- und abwärts zu patschen liebte.
    Ach, holde Maid …
    Von der Schwelle aus schaute er rasch nach unten. Graue Blechschränke, ein paar Stühle, ein kleiner Tisch. Der klobige Holztisch, der Bottich und der Eisenherd von damals waren längst verschwunden. Trotzdem fühlte es sich vollkommen unwirklich an, auf diesem Boden, in diesen Räumen herumzulaufen, die doch zu Julians Welt gehörten. Zu einer fernen Vergangenheit, die mehr und mehr zu seiner, Marians, zweiter Gegenwart wurde.
    »Vielen Dank noch«, sagte er zum Apotheker.
    Billa

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