Gößling, Andreas

Leute angeblich in früheren Zeiten waren. Aber gerade die Eigennamen, bestimmte Formeln und Anrufungen, die bei jenen magischen Ereignissen eine Rolle spielten, werden meist erstaunlich unverfälscht überliefert. Und das gilt, soweit ich sehe, auch für die uralten Geschichten von der Erschaffung des oder der Golems.«
    Er legte eine kleine Pause ein und sein Blick verlor sich im Halbdunkel der Gaststube. »Also Vorsicht gerade bei magischen Wörtern, Zwingsprüchen und Ähnlichem«, sagte er. »Wenn sie damals funktioniert haben, können sie das auch heute noch tun. Natürlich nur dann, wenn man die gesamte Zeremonie korrekt rekonstruiert hat.«
    Marian überlegte fieberhaft. Wie weit durfte er Hanno Bußnitz ins Vertrauen ziehen? Er beschloss, auf der Hut zu bleiben – vor allem, solange er nicht wusste, was der Professor gegen die Logenbrüder seines Freundes Marthelm hatte. »Ein paar Lehmfiguren zu formen und die Formel drüber zu sprechen«, fragte er, »wäre also zu wenig, um die Golems zum Leben zu erwecken?«
    Hanno Bußnitz brach in Gelächter aus, das gleich schon in rasselnden Husten überging. »Entschuldige bitte«, sagte er, nachdem er seine Lunge halbwegs unter Kontrolle gebracht hatte. »Aber das war wirklich zu ko misch. Nein, es reicht natürlich bei Weitem nicht aus – auch dann nicht, wenn man der Lehmfigur zusätzlich jenes jüdische Zauberwort auf die Stirn schreibt, das auf Deutsch ›Leben‹ und noch einiges mehr bedeutet.« Erneut begann er leise zu lachen. »Probiere es nur aus«, empfahl er Marian, »aber sei nicht allzu enttäuscht, wenn dein lehmiges Gegenüber deine Bemühungen nicht zu würdigen weiß.«
    »Okay, verstanden«, sagte Marian. Die Witzeleien des Professors gingen ihm allmählich etwas auf den Geist. »Aber angenommen, man würde die korrekte Formel kennen, das richtige Wort auf die Stirn des Golems schreiben und außerdem die vorgeschriebenen Zeichen in den magischen Kreis malen, zum Beispiel die Schlange, die sich um die Zacken des Pentagramms windet.« Hanno Bußnitz zuckte sichtlich zusammen, aber Marian ließ ihn jetzt nicht zu Wort kommen. Wieder beugte er sich weit über den Tisch und sprach so leise , dass es kaum mehr als ein Flüstern war. »Angenommen also, man würde alles genauso machen, wie es der jüdische Zauberpriester damals auch gemacht hat – dann würde die Beschwörung funktionieren?«
    Hanno Bußnitz wirkte mit einem Schlag wieder todernst. Zögernd nickte er. »Oh ja, ich denke schon. Mitentscheidend für Erfolg oder Misserfolg ist aber mindestens noch zweierlei: Erstens, man kann nicht irgendwelchen x-beliebigen Lehm nehmen, sondern nur die rote Erde von gewissen magischen Orten. Und zweitens, man muss die richtige Pulvermischung zur Hand haben, um sie bei der Zeremonie abzubrennen. Die Dämpfe locken dann die Geister herbei, wie es in den alten Texten immer heißt – richtiger wäre es wohl, zu sagen: Die Schwingung erschafft für kurze Zeit ein Sphärenfenster, durch das die Geister in unsere Welt herüberschlüpfen können.«
    Er lehnte sich auf der Bank zurück. Als er Marians Blick bemerkte, verzog er sein Gesicht zu einer übertriebenen Grimasse des Schreckens. »Was starrst du mich so an? Ich selbst bin kein Geist, ich schwöre es – auch wenn ich mich immer öfter wie ein altes Moorgespenst fühle.«
    Anscheinend wurde der Professor von einer neuen Hei terkeitswelle überwältigt, aber das bekam Marian nur ganz am Rande mit. Dämpfe – Schwingungen – magischer Ort – Sphärenfenster … In seinem Kopf wirbelte alles durcheinander. »Diese … diese Fenster …« Er verhaspelte sich vor Aufregung und wollte von Neuem ansetzen. Aber der Professor beugte sich vor und legte ihm seine faltige, mit Altersflecken gesprenkelte Rechte auf die Hand .
    »Ein andermal mehr. Deine Mutter kommt zurück«, sagte er leise. Und dann viel lauter: »Du bist Marthelm so ähnlich, dass ich es kaum fassen kann.«
    »Machen Sie nur weiter so.« Linda setzte sich wieder auf ihren Stuhl neben Hanno Bußnitz und drohte ihm spielerisch mit dem Zeigefinger. »Dann ist Ihre Bewährung bald wieder beim Teufel.«
    Der Professor schenkte ihr ein knittriges Grinsen. »Da wäre sie zumindest in guter Gesellschaft, gnädige Frau. Meine Seele nämlich ist schon lange dort. Zumindest sind Godobert und seine Brüder davon überzeugt, dass ich mit der Hölle im Bunde bin.«
    Verblüfft sah Marian ihn an. Allmählich verstand er gar nichts mehr. »Und