Gößling, Andreas
weiß, dachte er, gebe ich mich geschlagen.
Billa lächelte auf ihn herunter. »Deshalb lass ich mir das alles hier doch gefallen«, sagte sie, »den ganzen Sommer über, letztes und dieses Jahr. Die Hexenweiber müssen uns hinführen – und ich schwör’s dir, sie werden uns zu ihm bringen.«
Verblüfft schaute Marian zu ihr empor. Ihre Haare hingen auf ihn herunter und schlossen ihre beiden Gesichter in einer kitzelnden Kupferröhre ein. »Du meinst, sie wissen wirklich, wo er ist?«
Anstelle einer Antwort legte sich Billa der Länge nach auf ihn, Brust auf Brust, Lippen auf Lippen. »Schwörst du’s?« fragte sie, und ihre Münder bewegten sich gemeinsam zu ihren Worten. »Schwörst du, dass du mir hilfst?«
»Ich schwör’s.« Er nuschelte, denn ihre Lippen, Zungen, Zähne kamen sich dauernd in die Quere.
»Beim Leben deiner Mutter?«
Das ging ihm dann doch zu weit. »Mein Bruderschaftsehrenwort.«
33
Irgendetwas kitzelte Marian im Gesicht. Schläfrig wischte er es mit der Hand weg, aber im nächsten Moment war es wieder da. Er machte ein Auge auf – fast noch stockdunkel, höchstens vier Uhr früh.
Er wollte sich zur Seite drehen, weiterschlafen. Da hörte er ein Flüstern direkt an seinem Ohr. »Marian? Ich muss rüber – Klotha steht gleich auf.«
Klotha? Er brauchte eine Weile, bis er kapiert hatte, wer da überhaupt redete. Und wovon.
»Sie schimpft fürchterlich«, flüsterte Billa, »wenn ich ihr Frühstück nicht rechtzeitig fertig bekomme.«
Also war er gar nicht in seinem Hotelzimmer? Jetzt endlich kriegte er die Augen auf. Billa kauerte neben ihm auf dem Bett und lächelte auf ihn runter. Damit er sie besser sehen konnte, griff sie mit einer Hand nach hinten und zog den Vorhang ein kleines Stück weit auf.
Draußen dämmerte der Morgen. Er lag in ihrem Bett, in diesem Schrankzimmer aus Holz. Und es konnte wirklich noch nicht viel später als vier, halb fünf sein. Aber Billa war anscheinend schon fix und fertig für den neuen Tag.
»Was hast du vor?«, flüsterte er.
Sie trug wieder ihr Camouflage-T-Shirt, dazu eng anliegende Reiterhosen und sogar die kniehohen Stiefel, mit denen sie einmal in der Gaststube des »Moorgrafen« erschienen war.
»Tut mir leid, ich musste es ihnen versprechen«, sagte sie, immer noch im Flüsterton. »Sie wollen heute unbedingt zur alten Marieneiche und ich soll sie hinfahren. Das ist so ein riesiger Baum weit draußen im Moor«, fügte sie hinzu. »Er ist ein paar hundert Jahre alt und steht auf so einem Hügel, der angeblich schon vor ewigen Zeiten eine Art Heiligtum war – ein magischer Steinzeitort oder so was.«
Marian war so müde, dass er kaum die Augen offen halten konnte. »Willst du nicht noch mal ins Bett kommen?«.
»Nichts lieber als das. Aber Klotha verhext mich in eine Katze, wenn ich nicht in drei Minuten drüben bin.« Sie beugte sich zu ihm runter und hauchte ihm einen Kuss auf den Mund. »Bleib ruhig liegen, Liebster – ich mach so schnell ich kann. Müsste am Nachmittag wieder hier sein, so gegen drei – vielleicht bist du dann ja noch da? Wenn du vorher weg musst, zieh einfach die Tür hinter dir zu.«
»Okay«, murmelte er.
Letzte Nacht waren sie vor lauter Erzählen und Beratschlagen kaum zum Schlafen gekommen – rätselhaft, wieso Billa schon wieder so wach war. Marian bekam eben noch mit, wie sie nach draußen schlüpfte und die Haustür ins Schloss fiel. Was hatte sie da gerade von Magie und Steinzeit gesagt? Ganz egal jetzt. Er drehte sich auf die Seite und schlief im gleichen Moment wieder ein.
Als er erneut zu sich kam, war es vor dem kleinen Fenster schon taghell. Wieder brauchte er einen Moment, bis ihm einfiel, wo er war und wie es ihn in diese Holzhüt te verschlagen hatte. Er rappelte sich auf und spähte vorsichtig nach draußen. Keine Menschenseele weit und breit. Auch von der Kalesche, die Billa gestern vor dem Schuppen stehen gelassen hatte, war nichts zu sehen. Im Hellen wirkte alles noch viel runtergekommener. Das baufällige Hexenhaus, der halb eingestürzte Schuppen. Mitten im Hof dieser absurde Ziehbrunnen in einem Chaos aus Gestrüpp, Gerumpel, Büschen voll knallroter Beeren.
Die erinnerten ihn an Billa, wie er sie im Hexenholz gesehen hatte. Nur ein Trugbild, weil da drinnen alles verwunschen, voller Vorspiegelungen war? Aber warum hatte er im Bannwald gerade sie gesehen?
Billa. Er ließ sich auf die Matratze zurückfallen. Mannomann , dachte er, denn jetzt fiel ihm wieder ein, was sie ihm
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